Medizin

Neue Armprothese zum Anstecken und Loslegen

Noch vorhandenen Handnerven im Stumpf wurden in die verbliebene Muskulatur eingepflanzt.
Noch vorhandenen Handnerven im Stumpf wurden in die verbliebene Muskulatur eingepflanzt.MedUni Wien / A. Cserveny
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Erstmals können künstliche Arme, die über Nervensignale gesteuert werden, per Bajonettverschluss angelegt und sofort eingesetzt werden. An der Weltpremiere war auch die Medizinische Universität Wien beteiligt.

Die Patienten wurden in Schweden operiert, vier Männer, alle hatten ihren Arm oberhalb des Ellbogens verloren. Eine schwierige Ausgangssituation für eine steuerbare Prothese, denn auf dieser Höhe bleiben nur zwei Muskeln – Bizeps und Trizeps –, um Bewegungssignale auf die künstliche Gliedmaße zu übertragen. „Damit lässt sich eigentlich nur das Ellbogengelenk beugen und strecken“, erklärt der Nervenchirurg Oskar Aszmann von der Medizinischen Universität Wien.

Doch die bionischen Prothesen, die den Männern angefertigt wurden, sind eine Weltneuheit: Ohne mühsames Training können sie die Ellbogen-, Hand- und Fingergelenke des Roboterarms allein mit Gedanken steuern. Berühren die Maschinenfinger ein Objekt, spürt das ihr Träger, ebenso wie den Druck, den sie beim Greifen ausüben. Nachts kann der künstliche Arm, der über einen Metallstift im Stumpf mit dem Köper verbunden ist, einfach abgenommen und die integrierten Batterien können geladen werden. Wird er morgens wieder angesteckt, ist er sofort einsatzbereit.

Bizeps übersetzt Handbefehle

Eine Reihe technischer und medizinischer Innovationen waren dafür nötig, erklärt Aszmann, der für die Verlagerung der Nervenbahnen zuständig war. „Wir haben die noch vorhandenen Nerven im Stumpf, die für die Handfunktionen zuständig sind, mikroskopisch herausgeholt und in die verbliebene Muskulatur eingepflanzt. Die wird dann zum Übersetzer von neuralen Signalen, die eigentlich der Hand zugeordnet sind – sprich der Patient denkt daran, eine Faust zu machen, und der Bizepsmuskel zieht sich zusammen. Diese Signale können wir dann in die Prothese einspeisen.“ Anders als bei herkömmlichen Prothesen, deren Steuerung erst aufwendig erlernt werden muss, passiert durch die Technik von Aszmann genau das, woran der Patient gerade denkt.

Doch die „Erwirtschaftung der Biosignale“, wie es der Mediziner nennt, war nur eine von vielen Herausforderungen. „Diese Biosignale müssen an die Prothese geschickt werden. Das Problem dabei ist die enorme Informationsdichte auf kleinstem Raum, dennoch müssen die Signale mit hoher Auflösung und Zuverlässigkeit empfangen werden, damit die Prothese solide und verlässlich gesteuert werden kann.“ Denn auch die beste Technik sei nutzlos, wenn sie nicht absolut zuverlässig funktioniert, so der Chirurg.

Hier war die Ingenieursleistung von Max Ortiz-Catalan, dem Leiter des Biomechatronics and Neurorehabilitation Laboratory im schwedischen Göteborg, maßgeblich. Er konstruierte eine Schnittstelle, in der sämtliche elektronischen Komponenten Platz finden und welche die Signale durch ein im Knochen verankertes Titanimplantat in die Prothese überleitet. Zwar benötigt dieser Metallstift einen permanenten Hautdurchtritt, doch die Vorteile des Systems überwiegen bei Weitem, betont Aszmann. „Durch die direkte Anbindung an das Skelett wird die Prothese unmittelbar als Teil des eigenen Körpers empfunden, und die Signale können so direkt an die Prothese geleitet werden. Dadurch kommen die Befehle sauber und in Bruchteilen von Sekunden an, was wiederum die Verlässlichkeit der Funktion erhöht. Das ist enorm wichtig, auch für die Rückmeldung der Sensoren an den Fingern.“

Damit der Patient auch spürt, was er anfasst, sind Berührungs- und Drucksensoren in den Fingern der Prothese eingebaut, deren Signale durch eine spezielle chirurgische Methode an die dafür ursprünglich vorgesehenen Nerven im Stumpf weitergeleitet werden. Somit sind sämtliche Komponenten, die für das Funktionieren der Prothese nötig sind, in dem künstlichen Arm und dem Implantat untergebracht. Die Methode, die im Fachjournal New England Journal of Medicine publiziert wurde, kann sich Aszmann in Zukunft auch für andere Prothesen vorstellen – bei verbesserter Funktechnik sogar ohne Loch in der Haut.

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