Für Zeiten wie diese

Es ist wieder Zeit für Fliegerbussis und Pantoffelküsse

Die Pandemie erzwingt auch eine neue Sicht auf den Kuss.
Die Pandemie erzwingt auch eine neue Sicht auf den Kuss.REUTERS
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Die Pandemie erzwingt auch eine neue Sicht auf den Kuss: einige Vorschläge an die zuständigen Regierungsmitglieder.

Abstand halten, heißt es, und das ist richtig. Überhaupt hat die Regierung viel getan. An einem zwischenmenschlichen Verhalten ist sie allerdings achtlos vorübergegangen: dem Küssen.

Die Wissenschaft der Philematologen, der Kussforscher, hat errechnet, dass der Mensch, Jean-Claude Juncker nicht eingerechnet, 76 Tage seines Lebens mit Küssen verbringt und dabei 6,4 Kalorien pro Minute verbraucht. Alarmierend ist, dass pro Kuss bis zu 80 Millionen Bakterien übertragen werden. Hier besteht Handlungsbedarf. Einem alten Lexikon entnehme ich, dass in den USA schon vor 100 Jahren ein „Kussnetz“ zur Abtötung aller Bakterien propagiert wurde. In der Sowjetunion erließ das Volkskommissariat für Hygiene 1924 ein Kussverbot – ohne nachhaltigen Erfolg, denkt man an die kommunistische Praxis der „Bruderküsse“. Kein Wissenschaftler von Rang ist um das Küssen herumgekommen. Freud hielt es für angeboren und sah im Kuss die Fortsetzung des Saugens an der Mutterbrust. Darwin hingegen hielt das Küssen in seiner Schrift „Der Ausdruck der Gemütsbewegungen beim Menschen und den Tieren“ lediglich für ein kulturell erworbenes Verhalten. Angeboren sei freilich das Begehren. Zoologen sehen im Kuss eine Fortsetzung der tierischen Mund-zu-Mund-Fütterung. Wie dem auch sei, die Regierenden sollten endlich handeln. Der Sportminister muss das Küssen von Pokalen verbieten; der Bundespräsident, der uns mit beachtlichem mimischen Talent die Namaste-Geste nahegebracht hat, sei zu einer Demonstration des „Fliegerbussis“ aufgerufen: Ein Kuss auf die eigene Handfläche, ein schmachtender Blick, ein Hauch – und schon fliegt das Bussi zur Gemahlin, die es strahlend auffängt und mit den Worten „Jetzt schick ich dir's z'ruck!“ erwidert. Die für Kultus zuständige Ministerin, so etwas gibt es, könnte den aus der Mode gekommenen päpstlichen Pantoffelkuss propagieren. Ein Gewaltakt läge jedoch vor der Kulturministerin. Sie müsste Klimts „Kuss“ Christo-artig verhüllen oder zumindest mit der Warnung „Küsse können töten“ versehen. Von einer Übermalung à la Arnulf Rainer würde ich abraten. Wichtig wäre die Eliminierung von Kussszenen in der Literatur. Penelope küsst ihren Gatten, im Nibelungenlied küsst man die Damen „dicke“ auf den „suezen munt“, vom Kuss in priapischen Gedichten ganz zu schweigen.

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