Am Herd

Gemeinsam beim Abendessen

Es war ein wunderbarer Abend. Ein lauter Abend (Symbolbild).
Es war ein wunderbarer Abend. Ein lauter Abend (Symbolbild).(c) imago/Westend61
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Und dann saßen wir, nach so vielen Wochen, endlich wieder gemeinsam beim Abendessen, mein Mann, meine Töchter, die „Schwiegersöhne“ und ich. Und wie übermütig wir waren!

Marlene hat einmal einen Regenwurm verspeist. Also zumindest hineingebissen hat sie, so ein bisschen, da war sie etwa vier Jahre alt, besuchte den Kindergarten und war Chefin der Bubenbande. Dass das ein bisschen seltsam klingt, weiß Marlene selbst, jedenfalls hat sie damals die Regenwurm-Beißerei als Mutprobe vorgeschlagen und ist mit „gutem“ Beispiel vorangegangen. Es war grausig, aber auch nicht zu grausig, und sie hat es nie wieder gemacht.

Das hat uns Marlene letzten Sonntag erzählt, als wir alle endlich wieder gemeinsam um den großen, alten Holztisch saßen, dessen Ecken von den Krallen zweier Generationen von Katzen ziemlich ramponiert sind. Es war ein wunderbarer Abend. Ein lauter Abend. Wir lachten viel. Und erzählten noch mehr vor lauter Glück und Übermut. Von Regenwürmern. Lustigen Frisuren. Digital hoppertatschigen Professoren. Und von unseren Ängsten. Keine Ahnung, wie wir darauf kamen, vielleicht passt das Thema einfach zur Zeit.

Der Kronkorken. Ich erzählte von jener Nacht, in der meine Fußsohlen so seltsam pochten. Ich war noch klein, vermutlich wuchs ich gerade sehr heftig, so erkläre ich mir das heute, aber damals glaubte ich, dass am Fußende des Bettes kleine Zwerge sitzen, die mit winzigen Hämmerchen gegen meine Sohlen schlagen, ich zog meine Beine an, aber die Zwerge rückten nach, ich geriet in Panik. Dann redeten wir über Hannah, die vor Erdbeeren Angst hatte und vor dem Nikolaus und vor ihrem eigenen Schatten, und über Marlene, die sich vor gar nichts fürchtete, außer vor dem Klomonster, und auch das nur, weil ich ihr einmal ein Buch vorgelesen habe, in dem ein Mädchen dem Klomonster damit droht, ihm auf den Kopf zu pinkeln. Max erzählte davon, wie er als Bub einen Kronkorken eingesteckt hatte, als er mit der Familie einkaufen war. Im ersten Geschäft piepste es und die Angestellten kamen angelaufen, weil sie glaubten, da hätte jemand was geklaut, und im zweiten piepste es ebenfalls und im dritten auch, das war schlimm, er wollte nie wieder einen Laden betreten. Und keiner dachte an den Kronkorken in Max´ Hosentasche.

Lukas erinnerte sich dann noch an die Schnecken, die an regnerischen Tagen über den Weg krochen, der zur Schule führte, und vor denen er sich immer so gegraust hat, und über diese Schnecken sind wir dann auf den Regenwurm vom Beginn der Kolumne gekommen, jetzt weiß ich also, dass Marlene schon als Kleinkind so allerlei vor uns verborgen hat. Und dass wir zumindest unsere alten Ängste süß finden und darüber lachen können. Das ist schön.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2020)

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