Unterwegs

Freudige Planung

Schöne Reiseerlebnisse lassen sich nicht planen? Die Reiseplanung selbst ist das schönste Erlebnis.

Ich nutze die Ungunst der Stunde zum Geständnis: Bei Reisen bin ich ein Kontrollfreak, also jemand, der alles wie blöd vorausplant. Das galt in den seligen Zeiten, da man noch frei die Welt erkunden konnte, als extrem uncool. Wer etwas auf sich hielt, verschmähte Reiseführer und Routen. Der wahre Kenner war der reine Tor. Man ließ sich überraschen, willenlos treiben wie eine Qualle in der Brandung und hatte dabei vorgeblich viel tollere Erlebnisse als an der Hand des besten Cicerones. Diese Einstellung des „Schau ma mal, dann sehen wir schon“ rächt sich nun: Wer sie kultiviert hat, kann nur tatenlos Grenzöffnungen abwarten und sommerlichen Eistee trinken.

Da haben es die Nostalgiker schon besser: Sie blättern wenigstens seufzend in ihren Fotoalben und schwelgen in einer durch Bildbearbeitungsprogramme geschönten Vergangenheit. Am besten aber habe es ich, mit meinem Regal voller Reiseliteratur an der Wand und einem Reservoir an Projekten im Kopf, in allen Details, bis Mitte 2022. Ich verkläre die Zukunft, male sie mir am Sofa hingestreckt in leuchtenden Farben aus. Dass es dann so toll nicht wird, ist nicht schlimm, denn die Reise selbst ist ja nur ein kurzer Schlusspunkt nach langen Monaten freudiger Planung.

Außerdem bin ich durch den digitalen Schwarm der Vorausgereisten emotional versichert: Verheerende Kommentare auf Tripadvisor samt üblen Fotos als Beweismittel immunisieren gegen das Virus der Enttäuschung vor Ort.

Endlich angekommen, stelle ich erleichtert fest: Gar nicht so schlimm, wie sie alle tun. Und lasse mich, ich gebe es ja zu, einfach treiben.

karl.gaulhofer@diepresse.com

Nächste Woche: Gabriel Rath

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2020)

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