Fischler-Nachfolge

Treichl soll Präsident werden: "Alpbach wird nicht das Europäische Bankenforum"

Andreas Treichl soll Franz Fischler als Alpbach-Präsident folgen
Andreas Treichl soll Franz Fischler als Alpbach-Präsident folgenAPA/HELMUT FOHRINGER
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"Europa ist eine Gesellschaft, und die besteht Gott sei Dank nicht nur aus Banken und Wirtschaft,“ so Treichl. Präsident Franz Fischler sieht ehemaligen Erste-Chef als „absoluten Wunschkandidaten“.

Allzu viel möchte der voraussichtliche künftige Präsident des Europäischen Forums Alpbach, der frühere langjährige Erste-Chef Andreas Treichl, noch nicht zu möglichen inhaltlichen Schwerpunkten unter seiner Führung sagen. Aber: "Es wird hundertprozentig nicht das Europäische Bankenforum werden. Europa ist eine Gesellschaft, und die besteht Gott sei Dank nicht nur aus Banken und Wirtschaft."

Im gemeinsamen Gespräch mit dem derzeitigen Forumspräsidenten Franz Fischler, dessen Amtszeit nächstes Jahr endet, erzählte Treichl, dass er Alpbach "in den unterschiedlichsten Phasen" seiner Karriere erlebt habe. "Ich war bei den Seminaren dabei, ich war natürlich auch bei den Wirtschafts- und den Finanzmarktgesprächen dabei" - als Teilnehmer, und später auch als Sprecher, "und mir haben eigentlich alle Veranstaltungen, bei denen ich aktiv dabei war, großen Spaß und große Freude gemacht". Auf die wahrscheinliche neue Aufgabe freut sich der ehemalige Spitzenbanker nach eigenen Aussagen sehr. Fischler, der das Forum Alpbach seit 2012 leitet, nannte Treichl seinen "absoluten Wunschkandidaten".

Trotz Coronakrise soll das Forum Alpbach auch in diesem Spätsommer stattfinden - allerdings natürlich nicht so, wie ursprünglich geplant. "Zu einem gewissen Grad müssen wir uns heuer neu erfinden. Aber wir haben entschieden, dass das Forum auch im Jahr 2020 stattfindet, zumal es ja gelungen ist, auch im Jahr 1945 ein Forum zustande zu bringen", sagte Fischler. Doch das heurige Forum werde "ziemlich anders sein, als man das gewohnt ist, es wird vor allem einen großen Anteil an digitalem Programm haben". Dieses digitale Programm werde "sehr vielfältig sein und in verschiedensten Formen ablaufen" und nicht nur von Alpbach aus, "sondern an verschiedenen Orten in Europa stattfinden". Geplant sei, "eine Art hybrides Forum zu gestalten, das heißt, teilweise analog mit Anwesenheit in Alpbach, und teilweise digital".

Auch in Zukunft digitaler

Fischler sieht diese Herangehensweise nicht nur als "Notlösung" für heuer: Auch in der Zukunft solle "wesentlich mehr zusätzlich zu dem, was in Alpbach stattfindet, auch digital möglich sein und digital stattfinden. So gesehen ist das heuer gleichzeitig ein Pilotprojekt. Wenn das gut funktioniert, und ich bin überzeugt, dass das gut funktionieren wird, dann schaffen wir einen riesigen Multiplikatoreffekt für die Zukunft."

Das endgültige Programm, aber auch die Details zur technischen Ausgestaltung des Forums sollen im Juli vorgestellt werden. Feststeht, dass heuer sehr viel weniger Personen zu dem Kongress kommen können werden als sonst. "Der größte Ansturm ist bisher immer bei den Wirtschafts- und Technologiegesprächen gewesen, da waren gleichzeitig ungefähr 1.500 Leute in Alpbach anwesend, was aber zu viel ist, muss man ganz offen sagen", meinte Fischler dazu. Für heuer erwartet er, dass nicht mehr als 100 bis 150 Personen gleichzeitig dort sein werden.

Inhaltlich bleibe man bei dem schon im Vorjahr festgelegten Generalthema "Fundamentals", das auch sehr gut passe: "Denn gerade jetzt, im Lichte der Erfahrungen, die wir mit der akuten Krise machen, poppen überall auf der Welt Fragen auf, die sehr ans Grundsätzliche gehen, Fragen wie zum Beispiel: Wie soll unser künftiges Wirtschaftssystem aussehen? Sollen wir weiter an der Globalisierung in der gewohnten Form festhalten? Wie weit soll die Arbeitsteilung gehen?" Aber auch Fragen zur Rolle der Gesundheit in der Gesellschaft oder, wie viel an Demokratie man "aufgrund von Dringlichkeiten oder aufgrund von Unabänderlichkeiten" opfern könne. "Da gibt es viele Grundsatzfragen, die zu diskutieren sind", und die zwar nicht neu seien, sich aber "verschärft" stellten.

Keine eindeutige Antwort auf „miteinander in Europa“

Gefragt nach seiner Einschätzung zur aktuellen Lage der Europäischen Union hielt der frühere EU-Kommissar fest, dass es viele Gründe gebe, "warum man zur Zeit Sorge haben muss um die Zukunft der europäischen Einigung". Die aktuelle Krise habe im Wesentlichen "einen Verstärkereffekt" und sei keine Ursache für diese Situation. "Die Situation, die wir haben, ist, dass es keine eindeutige und übereinstimmende Antwort mehr gibt auf die Frage, was wollen wir miteinander in Europa, das ist das eigentliche Problem." Fischler erwartet, "dass wir in den nächsten Jahren immer stärker einer Grundsatzentscheidung zudriften werden, wo man entscheiden wird müssen: Gibt es eine Weiterentwicklung der politischen Union, oder gibt es eine Rückentwicklung in eine Zollunion oder in eine reine Wirtschaftsgemeinschaft?"

Treichl sagte, eines der Probleme der Europäischen Union sei immer gewesen, dass sie im Wesentlichen als Wirtschaftsunion konzipiert gewesen sei, es aber "weit über die Wirtschaft hinausgehen muss, weil Wirtschaft allein nicht genügend Emotionen für etwas Gemeinsames erzeugen kann". Der Glaube, "dass eine gemeinsame Währung eine große gemeinsame Emotion erzeugt", sei nicht richtig.

Und leider sei die Europäische Union "ja auch keine Wirtschaftsgemeinschaft mehr, sondern wir haben im Wesentlichen drei Vorzüge gehabt - den freien Verkehr von Menschen, von Gütern und von Kapital. Derzeit haben wir nicht einmal den freien Verkehr von Menschen. Und die Konzeption von Wirtschaft, auf der die Europäische Union aufgebaut ist, stammt aus den 50er Jahren. Aber die Vernetzung der Wirtschaft ist in der Zwischenzeit so viel breiter und tiefer und komplexer geworden, dass wir auch nicht von einer Wirtschaftsunion sprechen können." Denn selbst wenn es den freien Verkehr von Waren gebe, so gebe es zum Beispiel keine gemeinsame Telekommunikations- und Daten-Infrastruktur.

"Wir sind leider sehr weit davon entfernt, ein einheitlicher Wirtschaftsraum zu sein, und das führt dazu, dass wir uns diesen gemeinsamen Markt von 400 oder 500 Millionen Menschen zum Teil vorgaukeln. Den haben wir nicht, und das hat in den letzten 15 Jahren zu einer dramatischen Verschiebung der Wirtschafts-, der Wissenschafts- und der Innovationskraft auf dieser Welt geführt, die zunehmend von Europa weggeht und nach Amerika und China verlagert wird." Er halte das "für eine sehr bedrohliche Entwicklung, und das muss eigentlich jeder für eine bedrohliche Entwicklung halten, der ein Interesse daran hat, dass das politische System Europas, nämlich ein sehr demokratisches und im Vergleich mit anderen Kontinenten dieser Welt sozial viel ausgeglicheneres System, in der Zukunft auf dieser Welt eine Rolle spielt", sagte Treichl. "Alpbach wird Europa nicht verändern. Aber Alpbach kann vielleicht einen großen Anstoß geben an die Politik, die Wirtschaft und die Wissenschaft, näher zusammenzurücken in Europa."

(APA)

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