Wort der Woche

Luftströmungen beim Musizieren

Wie gefährlich ist Musizieren im Chor oder im Blasorchester? Forscher meinen: Nicht sehr. Eine definitive Antwort steht aber noch aus.

Für Profimusiker endet nun die lange Zeit der Proben- und bald auch der Konzert-Abstinenz. Für uns Hobbymusiker heißt es aber weiter warten. Vereinzelte Berichte von Chören, bei denen im März zwei Drittel der Sängerinnen und Sänger an Covid-19 erkrankten, ließen das gemeinsame Singen bei vielen zu einem absoluten „No-Go“ werden. Und wie kann dies erst bei Blasinstrumenten sein, die den Schall noch weiter in den Raum hineintragen . . .

Alles nicht so schlimm, sagen nun Strömungsforscher der Universität der Bundeswehr München (www.unibw.de). Christian Kähler und Rainer Hain haben im Labor untersucht, welche Luftströmungen beim Singen und beim Spielen von Blasinstrumenten entstehen. Dadurch wollten sie etwas über die Ausbreitung von zwei Arten von möglicherweise infektiösen Tröpfchen erfahren: zum einen von „ballistischen“ Speicheltropfen (wie sie beim Husten oder bei Explosivlauten gebildet werden); zum anderen von mikroskopisch kleinen Aerosoltröpfchen (davon werden z. B. beim Reden jede Minute rund 1000 gebildet). Erstere sinken rasch zu Boden, zweitere können, wie Valentyn Stadnytskyi (NIH Bethesda) diese Woche im Fachblatt PNAS berichtete, acht bis 14 Minuten in der Luft schweben.

Die Münchener Physiker argumentieren nun, dass für die Ausbreitung der Tröpfchen die Luftströmungen beim Musizieren entscheidend sind. Sie konnten nachweisen, dass beim Singen und bei den meisten Blasinstrumenten die Luft nur einen halben bis maximal einen Meter vor dem Mund oder dem Schalltrichter bewegt wird. (Ausnahme: Querflöten verursachen in einem weiteren Umkreis Turbulenzen.) Daraus schließen sie: Wenn man den Sicherheitsabstand von 1,5 Metern einhält, ist man auch beim Musizieren auf der sicheren Seite.

Diese Überlegung ist freilich nicht vollständig. Denn es ist denkbar, dass bei einer Chor- oder Orchesterprobe in einem kleinen, schlecht belüfteten Raum mit der Zeit ein richtiggehender Aerosolnebel entsteht, der durch langsame Luftströmungen im Raum weitergetragen wird. Aber genau weiß man das nicht – und auch nicht, wie lang Covid-19-Viren in Tröpfchen infektiös bleiben.

Überdies gibt es eine weitere Begleiterscheinung des Musizierens, bei der auch Physiker nicht weiterhelfen können – da sind eher Soziologen gefragt: Denn Musiker, egal ob in einem Chor oder in einem Blasorchester, sind bekanntlich recht gesellige Wesen. Ein Plausch vor, während und nach den Proben samt Ausklang beim Stammwirten gehören zum gemeinsamen Musizieren einfach dazu.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2020)

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