Italiens Premier Berlusconi verliert binnen Wochen drei Vertraute wegen Korruptionsverdachts. 15.000 Seiten umfassen die Akten, auf deren Grundlage die Staatsanwaltschaft bereits mehrere Verdächtige verhaftet hat.
Rom. Man trifft sich in feinen Römer Palazzi, aber auch in ruhigen Landrestaurants oder im Schutz von anonymen Autobahnraststätten: Anwesend sind Richter, Regionalpolitiker, Beamte und Geschäftsleute – und drei Männer aus dem engsten Umfeld von Silvio Berlusconi. Man spricht über Politik und Geschäft, darüber, wie man sich Beamte bei Auftragsvergaben gefügig macht, und wie man das Verfassungsgericht wohl am besten dazu bringen kann, ein Immunitätsgesetz für den Premier passieren zu lassen.
15.000 Seiten umfassen die Akten, auf deren Grundlage die Staatsanwaltschaft bereits mehrere Verdächtige verhaftet hat. Die Vorwürfe reichen von Korruption und Amtsmissbrauch bis zu einem Verdacht, der böse Erinnerungen weckt: Die Herren sollen einen Geheimbund gebildet haben, den die italienischen Medien bereits „P3“ nennen – als Reminiszenz an die Freimaurerloge „Propaganda Due“ (P2). Sie wurde 1982 enttarnt, auf ihrer Mitgliederliste fanden sich Juristen und hochrangige Politiker, Offiziere und Geheimdienstler, Journalisten und Geschäftsleute, darunter auch ein Mailänder Unternehmer namens Silvio Berlusconi. Ihre Machenschaften, darunter möglicherweise auch Attentate in den 1970er-Jahren, erschütterten das Land seinerzeit in den Grundfesten und wurden nie gänzlich aufgeklärt. Seither sind solche Geheimbünde verboten.
Risse im Berlusconi-Lager
Die Verdächtigen von heute sollen sich mit Schmiergeldzahlungen den Auftrag für ein Windenergieprojekt auf Sardinien gesichert und versucht haben, die Höchstrichter zu beeinflussen. In der Region Kampanien wollten sie mit schmutzigen Tricks den Berlusconi-Vertrauten Nicola Cosentino als Präsidenten installieren, allerdings erfolglos. Er musste sich mit einem Amt als Staatssekretär begnügen – und am Mittwochabend auch dieses aufgeben, weil die Opposition einen Misstrauensantrag eingereicht hatte.
Wieder musste Berlusconi fürchten, dass das eigene Lager nicht geschlossen abstimmen würde, erneut hatte sein größter innerparteilicher Rivale, Parlamentspräsident Gianfranco Fini, die bedingungslose Aufklärung aller Vorwürfe gefordert.Cosentino, gegen den bereits seit vergangenem Jahr ein Haftbefehl wegen Verbindungen zur Camorra ausgestellt ist, wurde unhaltbar.
Er ist bereits der dritte Vertraute Berlusconis, der binnen weniger Wochen zurücktreten musste – nach Industrieminister Claudio Scajola, der in den riesigen Korruptionsskandal um öffentliche Großaufträge verwickelt ist sowie Aldo Brancher, dem Berlusconi zu einem neu geschaffenen Ressort verhalf, um ihm ein Verfahren wegen Betrugs zu ersparen.
Cosentino wie Berlusconi wiesen alle Vorwürfe als frei erfunden zurück. Doch die Luft wird dünn um Berlusconi, sehr dünn sogar. Immer lauter wird über Neuwahlen spekuliert. Und die Skandale sind längst nicht ausgestanden. Denn zu den P3-Verschwörern sollen auch sein Parteikoordinator Denis Verdini sowie sein langjähriger Vertrauter Marcello dell'Utri gehören. Letzterer war erst kürzlich in zweiter Instanz wegen Verbindungen zur Mafia verurteilt worden, als Senator genießt er aber Immunität.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.07.2010)