Migration

Deutschland neues Mitglied bei Wiener Migrationsorganisation

Michael Spindelegger leitet die Denkfabrik ICMPD
Michael Spindelegger leitet die Denkfabrik ICMPD Die Presse/Fabry
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Der größte EU-Staat tritt dem von Michael Spindeleggergeführtem Think Tank ICMPD bei. Die Coronakrise habe "einen riesigen Einfluss" auf die Migrationsströme, sagt der Ex-Vizekanzler.

Deutschland hat sich der in Wien ansässigen Migrationsorganisation ICMPD angeschlossen. "Wir haben mittlerweile auch Deutschland als Mitglied gewonnen", sagte der Generaldirektor des International Centre für Migration Policy Development (ICMPD), Ex-Vizekanzler Michael Spindelegger, am Dienstagabend in einem Onlinetalk der Österreichisch-Amerikanischen Gesellschaft (ÖAG). Damit sind 18 europäische Staaten an Bord der Denkfabrik.

Im Jahr 1993 von Österreich und der Schweiz vor dem Hintergrund der Flüchtlingsbewegungen während der Balkankriege gegründet, unterstützt das ICMPD Regierungen mit Expertise und Projekten bei der Bewältigung von Migration. Neben elf Staaten Mittelosteuropas und des Westbalkan gehören auch Schweden, Portugal, Malta und seit zwei Jahren auch die Türkei der Organisation an. "Möglicherweise bald" könnte auch Griechenland sich anschließen, sagte der frühere Außenminister und Mentor von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP).

55 Millionen Euro Jahresbudget

Das ICMPD sei mittlerweile insbesondere für europäische Staaten ein bevorzugter "Ansprechpartner". Sie würden "dann, wenn es zum Thema Migration kommt, an uns denken", sagte Spindelegger. Aufgabe des ICMPD sei es, den Ländern "zu helfen, in wissenschaftlicher Hinsicht, mit verschiedenen Projekten, mit neuen Ideen". Das Zentrum sei in 90 Ländern aktiv und unterhalte 18 Büros außerhalb von Wien, berichtete der Ex-Vizekanzler. Er zog eine "erfolgreiche" Bilanz seiner viereinhalbjährigen Tätigkeit. Die Mitarbeiterzahl des ICMPD habe sich von 120 auf 300 erhöht, das Jahresbudget von 15 auf 55 Millionen Euro.

Die Coronakrise habe "einen riesigen Einfluss" auf die Migrationsströme, sagte Spindelegger. "Wir haben Zahlen, die wir seit Jahrzehnten nicht gesehen haben", sagte er mit Blick auf die gesunkene Zahl an Migranten. Einerseits wüssten die Migranten nämlich, dass die Grenzen zu sind. Andererseits hätten sie auch selbst die Sorge, sich anzustecken.

Spindelegger deutete aber an, dass diese Situation nicht von Dauer sein wird. Das Schlepperwesen sei deswegen so schwer zu bekämpfen, weil es dezentral und "sehr flexibel" sei. Illegale Migranten würden nämlich nicht einen Schlepper bezahlen, sondern von einem zum nächsten geschickt. "Wir haben noch nicht einen Schlüssel gefunden, wie wir effektiv diese Schlepperorganisationen bekämpfen können", sagte er.

Spindelegger beklagte, dass derzeit in Europa nur 40 Prozent der abgelehnten Asylbewerber auch tatsächlich zurückgeführt werden. Das führe zu einer "Frustration" sowohl in der Bevölkerung als auch bei den Betroffenen. Hier müsse man eine Strategie entwickeln, warb der ICMPD-Direktor konkret für Migrationspartnerschaften mit Herkunftsländern. Diese Länder erhalten Unterstützung bei der Schaffung von Ausbildungsplätzen, wenn sie sich zur Rücknahme von abgelehnten Asylbewerbern verpflichten.

Partnerschaft mit Nigeria

"Ich habe noch als Außenminister mit Nigeria ein Rückführungsabkommen unterschrieben, das hat nie richtig funktioniert", sagte Spindelegger. Nun habe das ICMPD für Österreich eine Migrationspartnerschaft mit Nigeria entwickelt. "Das kann ein Leuchtturmprojekt sein für Europa", sagte er.

Spindelegger bracht auch ein Lanze für legale Migration. Diese sei "noch wenig entwickelt". Derzeit habe ein Migrant "wenig Chance, mit einer Rot-weiß-rot-Card legal nach Österreich zu kommen." Auch an finanzieller Unterstützung im Migrationsbereich führe kein Weg vorbei. "Wenn wir erreichen wollen, dass Länder, aus denen die Leute kommen, kooperieren, muss man ihnen auch etwas anbieten", betonte er. Allerdings solle man dabei stärker den Privatsektor einsetzen, weil eben Unternehmer viel mehr Arbeitsplätze schaffen können als dies etwa durch Entwicklungszusammenarbeit möglich sei.

Deutschland hofft auf EU-Asylreform

Die deutsche Bundesregierung setzt trotz Corona-Krise auf größere Fortschritte bei der Reform des EU-Asylrechts bis zum Jahresende. "Es ist weiterhin unser erklärtes Ziel für die deutsche Ratspräsidentschaft, bei der Asylreform voranzukommen", sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium, Stephan Mayer (CSU), der Deutschen Presse-Agentur.

Deutschland hat sich zuletzt für einen Mechanismus zur Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU stark gemacht. Zuvor soll bereits an der EU-Außengrenzen geprüft werden, welche Menschen eine realistische Chance etwa auf den Flüchtlingsstatus in einem EU-Land haben. Die sechsmonatige Ratspräsidentschaft innerhalb der Europäischen Union beginnt am 1. Juli.

Von der Mitgliedschaft bei ICMPD erwarte man sich neue Perspektiven, etwa durch die Kontakte der Organisation in die Türkei, sagte Mayer. Das könne bei der Bekämpfung von Fluchtursachen hilfreich sein.

(APA)

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