FILE PHOTO: Mask-wearing women hold stretchers near ambulances during the Spanish Flu pandemic in St. Louis
Die Welt bis Gestern

Seuchen: Geschichte wiederholt sich doch

2018, hundert Jahre nach dem Ausbruch der Spanischen Grippe, erschien ein vielschichtiges Buch über diese Pandemie. Heute liest es sich wie eine Geschichte der Gegenwart. Selbst die Debatten über die Maßnahmen gleichen sich.

„Was sehen wir“, fragt die Autorin, „wenn das 20. Jahrhundert an unserem inneren Auge vorbeizieht?“ Zwei Weltkriege, den Faschismus, den Aufstieg und Fall des Kommunismus, vielleicht einige besonders spektakuläre Episoden des Kolonialismus. „Doch das dramatischste Ereignis sehen wir nicht. Auf die Frage nach der größten Katastrophe des 20. Jahrhunderts lautet die Antwort nie: die Spanische Grippe.“ Diese, 1918 ausgebrochen, hat 50 bis 100 Millionen Todesopfer gefordert.

Hundert Jahre später hat die britische Wissenschaftsjournalistin und Autorin Laura Spinney aus diesem Anlass ein Buch herausgebracht, das die Spanische Grippe vielschichtig durchleuchtet („1918 – Die Welt im Fieber“). Es liest sich heute noch einmal anders als 2018. Es liest sich nahezu wie eine Geschichte der Gegenwart. Man könnte auch sagen: Hätte das Buch damals oder seither jemand von den heute politisch Verantwortlichen gelesen, wäre uns möglicherweise einiges erspart geblieben. Aber vielleicht wurde es eh gelesen – denn die Ähnlichkeit von Verlauf, Maßnahmen, aber auch Kritik im Gestern und Heute sind frappant.

So schildert Spinney den Ausbruch der Spanischen Grippe in Rio de Janeiro: „Am 12. Oktober, dem Tag, an dem sich die eleganten Gäste des Club dos Diàrios mit Grippe infizierten, äußerte das Satiremagazin ,Careta‘ die Befürchtung, die Behörden würden die Gefährlichkeit der Krankheit, die doch nur einlimpavelhos war – also nur alte Menschen dahinraffte – übertreiben, um eine ,Diktatur der Wissenschaft‘ errichten und die Bürgerrechte mit Füßen treten zu können.“ Wenig später sah es dann so aus: „Das Grauen verwandelte die Stadt, die nun einem postapokalyptischen Schauplatz glich. Fußballer spielten vor leeren Stadien. Das Nachtleben kam vollständig zum Erliegen. Wenn man überhaupt jemand auf der Straße sah, dann im Laufschritt.“ Selbst Letzteres passt, wenn auch nicht so gemeint, zur Gegenwart: Punkt vier jener vier Gründe, das Haus während des Lockdown verlassen zu können, war: joggen zu gehen.

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