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Zwiebel und Opposition

Expedition Europa: bei den Raskolniki Estlands – ein Vor-Corona-Erinnerungsstück.

Den fünftgrößten See Europas suchte ich lang. In Tartu wies nichts auf ihn hin, hinter dem hochmodernen estnischen Nationalmuseum verfolgte ein rotbuschiger Fuchs meinen Wagen, ein weiteres Füchslein warf sich auf der einsamen Waldstraße vors Auto. Das Ostufer des Sees gehört zu Russland, das Westufer aber zu Estland, und ausgerechnet dort hält sich seit 300 Jahren eine Bastion russischer Altgläubiger. Diese „Raskolniki“ leben in einem dünnen Siedlungsband am See, in Kolkja, Kasepää und Varnja. Weil sie mit Zwiebelanbau dazuverdienen, sind das die „Zwiebeldörfer“.

Es war Samstagabend, ich suchte eine Herberge, nur bei der Greißlerin in Kasepää brannte noch Licht. Normalerweise vermieten sie, wenn im Winter die Kaltmassen aus Russland kommen, Hütten an Eisfischer. Heuer nicht, die Saison fiel schon vor Corona aus: „So etwas haben wir noch nicht erlebt, der See fror nicht zu.“ Man sah sofort, dass die Verkäuferin eine zugewanderte Russin war: Um die Registrierkasse war ein Georgsbändchen gewickelt, seit 2014 ein prorussisches Symbol. Die Altgläubigen hingegen stehen dem Land, in dem sie einst verfolgt wurden, reservierter gegenüber.

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