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Belgien: Wenn ein Staat verdurstet

Eine herbe Enttäuschung: die belgische Nordseeküste. Ostende.
Eine herbe Enttäuschung: die belgische Nordseeküste. Ostende. (c) Picasa/ Heike Possert
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Wo einst die Belgier wohnten, leben heute nur mehr Flamen und Wallonen. Auch in der Corona-Krise entwickeln sie sich auseinander. Beobachtungen in der Region Flandern.

In den engen Gassen der Brüsseler Innenstadt ist der vorgeschriebene Abstand in Zeiten des Coronavirus nur schwer einzuhalten. Dass Brüssel daher das Stadtzentrum zu einer Begegnungszone umgestaltet hat, um mehr Platz für Fußgänger zu schaffen, hat international einige Aufmerksamkeit hervorgerufen. Für den flämischen Exstaatssekretär Theo Francken aber war das keine verkehrspolitische, sondern eine klar gegen die Flamen gerichtete Maßnahme – weil die mit ihren Autos ins Brüsseler Stadtzentrum einpendelten und jetzt daran gehindert würden. Schon zuvor waren sich die Politiker der beiden Landesteile Belgiens über die angemessene Reaktion auf Covid-19 in die Haare geraten: Die wallonische Seite forcierte strenge Beschränkungen nach französischem Vorbild, während flämische Politiker eher der weichen holländischen Linie folgen wollten.

Auch die Gesundheitskrise trägt also nicht dazu bei, das Verhältnis zwischen Flamen und Wallonen zu entspannen. Vor allem die flämischen Nationalisten, die die politische Szenerie des Teilstaates seit Jahren dominieren und bei der jüngsten Wahl, im Mai 2019, knapp an der absoluten Mehrheit im Regionalparlament vorbeigeschrammt sind, wollen das gemeinsame Unternehmen eher früher als später beenden. Der belgische Staat, so ihre Wunschvorstellung, solle überflüssig werden, nachdem er zuvor Kompetenz für Kompetenz an Flandern und an die Wallonie abgegeben hat. Belgien solle, so sagen sie, „verdunsten“. An seinen Grenzen ist das schon geschehen: Auf der Landstraße von Calais kommend, passiert man am Straßenrand ein Schild mit der Aufschrift „Vlaanderen“. In einigem Abstand davon verweist eine blau-weiße Tafel auf die erlaubten Höchstgeschwindigkeiten in diesem „Vlaanderen“. Dass man hier einen Staat namens „Belgien“ betritt, davon kündet nichts mehr.

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