Buchbesprechung

„Palast der Miserablen“: Wie überlebt man in einer Diktatur?

Abbas Khider, Jahrgang 1973, wurde in Bagdad geboren. 2000 kam er nach Deutschland, wo er studierte und ein erfolgreicher Schriftsteller wurde.
Abbas Khider, Jahrgang 1973, wurde in Bagdad geboren. 2000 kam er nach Deutschland, wo er studierte und ein erfolgreicher Schriftsteller wurde.(c) Peter-Andreas Hassiepen
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Abbas Khider erzählt in „Palast der Miserablen“ nicht nur eine Familiengeschichte, sondern geht auch der Frage nach, wie Literaten sich in repressiven Regimen verhalten sollen.

Auch wenn Abbas Khider seinem Text ein Zitat aus dem Gilgamesch-Epos voranstellt, ist es eine Hiobsgeschichte, die sein Roman „Palast der Miserablen“ erzählt. Die Familie von Shams Hussein wird allerdings nicht von Gott geprüft, sondern vom Staat, verkörpert in einer Person: Saddam Hussein.

Die Husseins leben in bescheidenen Verhältnissen im Süden des Irak. Der Icherzähler wird ein Jahr, bevor der Krieg zwischen dem Irak und dem Iran ausbricht, geboren. Sein Vater ist Soldat. Obwohl die Front nahe ist, ist der Krieg selten spürbar. Auch der Vater ist nicht im Kriegseinsatz, sondern schmuggelt Waffen aus Kuwait. Nach dem Ende des Krieges erlebt das Dorf eine friedliche Zeit. Sie währt allerdings nur ein paar Jahre, bis Saddam Hussein in Kuwait einmarschiert und den Krieg mit Amerika herausfordert. Die „Mutter aller Schlachten“ wird zur Tragödie für die Menschen in der Region. Shams' Vater muss an die Front, wird verwundet, kehrt aber zurück. Und will nie mehr in den Krieg ziehen. Die Familie flieht nach Bagdad.

Sie kommt bei Verwandten unter, die in Saddam City wohnen, einer Satellitenstadt, in der der Müll auf den Straßen liegt. Die Familie wohnt in einer Wohnung, zu acht in zwei Zimmern. Hier gibt es zum ersten Mal Fernsehen, was Shams begeistert. Aber nach Wochen ist klar: Die Husseins müssen etwas Eigenes finden. Doch es gibt keine Wohnung. Jedenfalls keine, die sie sich leisten könnten. Sie müssen ins Blechviertel, eine Wellblechhüttensiedlung außerhalb der Stadt, in der es noch mehr Müll, aber keine Straßen, keinen Strom, kein Wasser in den Häusern gibt. Die Husseins bauen sich eine Hütte aus altem Blech, Schutt, Plastiksäcken. Trotz ihres stetigen Abstiegs bleiben sie optimistisch, glauben daran, dass sich ihre Situation bessern wird, geben nicht auf.

Machtlosigkeit der Gequälten. Die Geschichte beginnt, als Shams als Erwachsener im Gefängnis sitzt. Die Schilderungen der Haft wechseln sich ab mit jenen der Familiengeschichte. Die Gefängnisfolterer wenden die Methoden an, die wir aus allen Lagern und Gefängnissen autoritärer Staaten kennen: Die Menschen bekommen gerade so viel zu essen, dass sie nicht verhungern, werden gequält, geschlagen, gedemütigt und können nichts tun, außer nicht zu sterben.

In dem Roman geht es aber nicht nur um das Soziale. Abbas stellt auch zur Diskussion, was die Literatur in der Diktatur leisten kann und soll. Shams findet in den Büchern seinen „Palast der Miserablen“. Mit anderen Intellektuellen trifft er sich in einer Wohnung. Ein junger Autor liest ein Gedicht eines Exil-Irakers vor, das sehr explizit das Regime kritisiert. Es entbrennt eine Diskussion darüber, ob es sinnvoll ist, im Ausland Texte zu publizieren, die im Land selbst nicht rezipiert werden, weil sie verboten sind. Ein Buchhändler wirft den Autoren vor, sie hätten sich grosso modo Saddam unterworfen, ganz wenige hätten den Mut, sich kritisch zu äußern. Oder sie schrieben so abstrakt, dass man den Sinn nicht erkenne. Der junge Autor verteidigt sich: Nur durch die Abstraktion sei es überhaupt möglich, Gedichte zu veröffentlichen. Und zwar hier im Land.

Bleiben oder fliehen? Das ist eine alte Diskussion von Kreativen in Diktaturen: Im Land bleiben und versuchen, etwas zu ändern? Oder vom Ausland aus die Weltöffentlichkeit aufmerksam machen? Wer von Alltags- oder auch Neue-Normalitäts-Sorgen geplagt ist, möge dieses Buch lesen. Natürlich geht es uns nicht besser, wenn es anderen schlecht geht. Aber es relativiert sich manches – zumindest kurzfristig.

(c) Hanser-Verlag

Neu Erschienen

Abbas Khider: Palast der Miserablen

Hanser-Verlag, 320 Seiten, 23,70 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2020)

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