Brasilien

Der dramatische Überlebenskampf der Indigenen im Amazonas

Greenpeace and Indigenous Delegation Protest at Brazilian Embassy in Berlin Greenpeace und Indigene Delegation Protestieren vor Brazilianischer Botschaft in Berlin
Greenpeace and Indigenous Delegation Protest at Brazilian Embassy in Berlin Greenpeace und Indigene Delegation Protestieren vor Brazilianischer Botschaft in Berlin(c) © Kevin McElvaney / Greenpeace (Kevin McElvaney)
  • Drucken

In Brasilien sehen sich indigene Völker wie die Karipuna der Corona-Pandemie schutzlos ausgeliefert. Vom Staat können sie keine Hilfe erwarten.

Tagsüber markieren sie das Gebiet im Wald, indem sie einzelne Äste abschneiden. In der Nacht kommen sie zurück, reißen mit Bulldozern die Bäume aus und räumen die Urwaldriesen weg. Illegale Holzfäller dringen immer weiter in die Gebiete indigener Völker im Amazonas-Regenwald vor und lassen zerstörte Landstriche zurück. Nicht nur die illegale Abholzung schreitet im Schatten der Coronakrise voran – seit Anfang 2020 ist diese um 55,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Immer wieder schleppen Eindringlinge auch das Virus in die entlegenen Regionen ein.


„Wir versuchen uns zu schützen, so gut es geht“, sagt Adriano Karipuna im Interview mit der „Presse“. Der Mittdreißiger ist der Chef der mittlerweile nur mehr kleinen indigenen Gemeinschaft der Karipuna, eines von rund 300 indigenen Völkern, die im Regenwald des Amazonas leben. Ihr Territorium im brasilianischen Bundesstaat Rondonia im Westen des riesigen Landes ist zwar durch die Verfassung streng geschützt. Das hindert aber Holzfäller nicht daran, weitgehend unberührte Waldgebiete immer weiter zu roden. „Wir lassen keine Fremden in unser Gebiet“, sagt Adriano Karipuna. „Wir befürchten aber, dass illegale Eindringlinge möglicherweise mit Covid-19 infiziert sind.“ Nun gelte es, unter allen Umständen die Sicherheit seines Volkes zu wahren. Denn die Karipuna umfassen nur noch 58 Personen.

Karipuna Community in Karipuna Indigenous Land, Brazil Membros da Comunidade Karipuna na Vila Panorama, na Terra Indígena Karipuna (RO)
Karipuna Community in Karipuna Indigenous Land, Brazil Membros da Comunidade Karipuna na Vila Panorama, na Terra Indígena Karipuna (RO)(c) © Rogério Assis / Greenpeace (Rogério Assis)

Erster Kontakt vor 50 Jahren

Schon einmal wurde das Volk durch eingeschleppte Krankheiten fast gänzlich ausgelöscht. Die ersten Kontakte der Karipuna mit Menschen außerhalb ihrer Gemeinschaft liegen erst 50 Jahre zurück. In den 1970er-Jahren kamen Holzfäller, Kautschukbauern und Arbeiter an den Eisenbahnstrecken und brachten Viruserkrankungen mit, gegen die die Karipuna schutzlos waren. „Nur acht Menschen überlebten, unter anderem meine Eltern und mein Onkel.“ Das war Anfang der 1980er-Jahre. Adriano Karipuna spricht von „menschengemachtem Genozid“. Heute wohnen in seinem Dorf mehrere Familien und viele Kinder. „Nun befürchten wir, dass durch Covid-19 so etwas erneut passieren kann.“ Für Karipuna geht es in der Coronakrise um den Fortbestand eines ganzen Volkes.

Von der Ausbreitung des Virus in dem südamerikanischen Land, das die Pandemie besonders stark erwischt hat, sind bereits 38 indigene Völker betroffen. 440 Ureinwohner haben sich mit dem Virus angesteckt, 92 sind an den Folgen gestorben. Diese Zahlen stammen von der Vereinigung der Ureinwohner. Das Virus erreiche mit „beängstigender Geschwindigkeit“ alle Gebiete der Gemeinschaften. Im Schutzgebiet der Karipuna gebe es noch keinen Fall, so ihr Chef Adriano. „Sollte jemand krank werden, können wir wenig Hilfe erwarten.“ Denn in der nächstgelegenen Stadt Port Velho seien die Intensivstationen voll.

„Wir hören Kettensägen"

Indigene Völker wie die Karipuna geraten in Brasilien – auch ohne Corona – immer mehr unter Druck. Präsident Jair Bolsonaro gilt als Schirmherr der Holzlobby und der Agrarindustrie. Seine Überzeugung: Der Regenwald muss wirtschaftlich ausgebeutet werden. In den kommenden Tagen will er ein „Landraub“-Gesetz auf den Weg bringen. Im Falle einer Verabschiedung würden die illegale Abholzung und unrechtmäßige Besetzung von öffentlichem Land vor 2018 nachträglich legalisiert.

Karipuna Indigenous Land in Rondônia TI - Karipuna (Rondônia)
Karipuna Indigenous Land in Rondônia TI - Karipuna (Rondônia)(c) © Chico Batata / Greenpeace (Chico Batata)
Karipuna Indigenous Land in Rondônia TI - Karipuna (Rondônia)
Karipuna Indigenous Land in Rondônia TI - Karipuna (Rondônia)(c) © Chico Batata / Greenpeace (Chico Batata)

„Der brasilianische Staat unternimmt nichts gegen diese kriminellen Machenschaften in unserem Schutzgebiet“, klagt Adriano Karipuna, der auf die Lage der Indigenen auch schon bei der UNO in New York aufmerksam gemacht hat. Er und sein Volk fühlen sich völlig auf sich allein gestellt. „Wir können die Kettensägen und Maschinen fast täglich von unserem Dorf aus hören.“ Er hat bei der Behörde Anzeige gegen die illegalen Abholzungen eingebracht und versucht gemeinsam mit der Umweltschutzorganisation Greenpeace gegen die Zerstörung vorzugehen. Derzeit bleibt ihm aber kaum etwas anderes übrig, als die Abholzung zu dokumentieren.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.