„Ich wohne also im Philosophenviertel“: Franz Schuh, geboren 1947 in Wien, promovierte 1975 mit einer Dissertation über Hegel.
Schriftsteller erleben die Krise

Totenstille in der Hegelgasse

Mein Blick hat hohes Niveau, ich blicke in Wien auf die Hegelgasse. Dort steht auch eine Bar, die ein Witz ist. In ihr herrscht jetzt Stille in der Nacht.

„Aus dem Fenster blickend werde ich so manches gewahr.“ Das ist ein Mustersatz für die Parodie auf realistische Erzählweisen. „Wirklichkeit“ sieht man nicht einfach, und oft erschließt sich das Unsichtbare allein dem fachärztlichen Blick. Ich hoffe aber, dass jeder ein Spezialist dafür ist, was es zu sehen gibt, wenn er aus seinem Fenster blickt. Mein Blick hat hohes Niveau, ich blicke nämlich in Wien auf die Hegelgasse.

Lang bevor ich auf die Hegelgasse hinausblickte, habe ich eine Dissertation mit dem Titel geschrieben: „Hegel und die Logik der Praxis.“ Es hat lang gedauert, bis ich selbst in der Hegelgasse untergebracht war, was weiter kein Problem wäre, für die Gebildeten aber doch eines ist: Der gewöhnliche Taxifahrer bringt mich sicher in die Hegelgasse. Der gebildete Taxifahrer hingegen lädt mich in der Schellinggasse ab, und wenn ich mürrisch sage, ich will „in Hegel“, bekreuzigt er sich und bekennt seinen Irrtum: „Ich habe Schelling mit Hegel verwechselt!“

Meine Behauptung, dass man Schelling mit Hegel gar nicht verwechseln könne, führt regelmäßig zu einer Diskussion über Herr und Knecht, über Sein und Nichts und Werden. Die Schellinggasse sehe ich von meinen Fenstern aus nicht, sie ist aber zum Glück eine Parallelgasse zu Hegel.

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