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109 Buben missbraucht: Arzt sah sich als "Aufklärungscoach"

OBEROeSTERREICH: PROZESS GEGEN ARZT, DER 109 BUBEN MISSBRAUCHT HABEN SOLL
OBEROeSTERREICH: PROZESS GEGEN ARZT, DER 109 BUBEN MISSBRAUCHT HABEN SOLLAPA/VERENA LEISS
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40 der mutmaßlichen Opfer waren noch nicht einmal 14 Jahre alt. Dem Arzt aus dem Salzkammergut drohen bis zu 15 Jahre Haft. Er bekannte sich "zu einem Großteil" schuldig.

Ein Arzt aus dem Salzkammergut, der sich an 109 Buben vergangen haben soll, steht ab heute, Dienstag, in Wels vor Gericht. Seit Eröffnung seiner Ordination im Jahr 2000 soll der heute 57-Jährige bis zu seiner Festnahme im Jänner 2019 "teils schwere sexuelle Missbrauchhandlungen" an den jungen Patienten vorgenommen haben.

Mit coronabedingten Sicherheitsvorkehrungen begann der Prozess am Welser Landesgericht. So wurden für die zahlreichen Opfervertreter Einzeltische mit gebührendem Abstand aufgestellt. Die Zuschauer mussten gleich in einen anderen Saal ausweichen, in dem per Video der Prozess übertragen wird. Der Angeklagte kam mit Faceshieldin den Saal. Pressefotografen nahm er unbeeindruckt zur Kenntnis, sein Gesicht versteckte er nicht vor den Kameras.

Die Verhandlung, für die fünf Tage eingeplant sind, wird weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Nur der Anklagevortrag und die für den 10. Juni erwartete Urteilsverkündung sollen öffentlich sein.

Schwere Vorwürfe

Seit Eröffnung seiner Ordination im Jahr 2000 soll der heute 57-Jährige bis zu seiner Festnahme im Jänner 2019 insgesamt 109 Buben teils schwer sexuell missbraucht haben, 40 der mutmaßlichen Opfer waren laut Anklageschrift noch nicht einmal 14 Jahre alt. 30 Fälle sollen sich außerhalb der Ordination abgespielt haben, darunter einer im Ferienhaus des Mediziners am Roten Meer in Ägypten. Weiters wird ihm vorgeworfen, Personen zum Dreh von Kinderpornos angestiftet und Jugendliche mit Cannabis versorgt zu haben.

In einigen Fällen geht es etwa um Untersuchungsmethoden, die laut einem Sachverständigen medizinisch nicht indiziert gewesen seien, in anderen um die Anleitung zur Masturbation. Wie der Staatsanwalt ausführte, habe der Mann in seiner Privatordination viele Kinder behandelt, deren Eltern er kannte. Er habe aber auch spätere Opfer beim Aufklärungsunterricht kennengelernt, wo er angeboten habe, telefonisch für Fragen zur Verfügung zu stehen.

Da zumindest drei Buben gemäß einem Gutachten "schwere Folgeschäden" davongetragen haben, drohen dem Angeklagten zwischen fünf und 15 Jahre Haft. Zudem steht eine Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher im Raum, weil seine Pädophilie laut einem Sachverständigen so stark sei, dass er sich neuerlich an Kindern vergreifen könnte. Von der Ärzteliste hat sich der Mann nach Bekanntwerden der Vorwürfe selbst streichen lassen.

„Aufklärungscoach"

Sein Mandant habe sich "ein bisschen als Aufklärungscoach gesehen" und sei zu rund 90 Prozent der Taten geständig, sagte sein Anwalt, der von "Grenzüberschreitungen" sprach. Jene Vorwürfe, in denen schwerer Missbrauch im Raum steht, seien aber falsch.

Der Angeklagte selbst bekannte sich "zu einem Großteil" schuldig. "Ich habe im Rahmen der sexuellen Aufklärung Übergriffe auf pubertierende Burschen begangen", räumte er vor Gericht ein. Das Bild, das von ihm in den Medien gezeichnet werde, werde ihm aber nicht gerecht: "Ich bin nicht der Mensch, der da beschrieben wurde."

Er sei den Jugendlichen gegenüber stets freundlich und locker gewesen und habe eine "ordinäre Sprache" verwendet, so der Anklagevertreter. Viele seien "überrumpelt worden" oder hätten geglaubt, die Handlungen des Arztes wären medizinisch nötig - "es war allen extrem peinlich". Der Staatsanwalt sieht in dem Vorgehen des Mediziners jedenfalls "einen Tatplan, der darauf ausgerichtet war, seine berufliche Tätigkeit für regelmäßigen Missbrauch" zu nutzen.

"Sex mit Kindern hat es nicht gegeben", betonte der Verteidiger, ebenso wenig Gewalt oder Zwang. Vielmehr gehe es um den Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses. Was die Masturbationen angehe, sei sein Mandant schuldig, andere Handlungen seien - auch wenn ein Gutachten anderes sagt - medizinisch indiziert gewesen. Die angeklagten schweren Missbrauchsdelikte sowie die Vorwürfe bezüglich Porno-Drehs und Drogen seinen aber falsch.

(APA)

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