Morgenglosse

EU-Hilfe für den Ballermann?

APA/AFP/JAIME REINA
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Transfers oder Kredite: der ideologische Streit um den EU-Wiederaufbaufonds verdeckt die Frage danach, wofür diese Mittel eingesetzt werden sollen - und wofür lieber nicht.

Was genau wollen wir in Europa wieder aufbauen mit jener halben Billion Euro, die Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und etliche andere in den kommenden drei Jahren als Transfers, Österreich, die Niederlande, Dänemark und Schweden aber als Kredite in so einem Wiederaufbaufonds bereitstellen wollen? Diese Frage ist politisch essentiell.

Theoretisch sind sich zwar vor der Vorstellung des diesbezüglichen Vorschlages durch die Europäische Kommission am Mittwoch alle einig: das Wiederaufbaugeld soll nur gegen strenge Bedingungen fließen. Und es soll den am härtesten von der Corona-Rezession getroffenen Sektoren und Regionen zugute kommen. Das wären in erster Linie der Massentourismus sowie die davon abhängigen Gegenden entlang der Mittelmeerküsten.

Soll man jedoch einen grauenhaften Moloch wie den spanischen Touristenort Benidorm mit Steuergeld wiederbeleben? Oder die zusehende Verramschung und Betonierung der kroatischen Adriaküste? Das vielerorts von mafiösen Strukturen kontrollierte Elend des Fremdenverkehrs im Mezzogiorno? Ist nicht der Umstand, dass ein großer Teil der ohnehin schwachen Wirtschaftsleistung der mediterranen Länder von dieser Form des Tourismus erbracht wird, ein Symptom schwerer volkswirtschaftlicher Unwucht?

Wer das nicht will, muss jedoch eine Antwort darauf finden, was mit all den Menschen geschehen soll, die bisher in dieser Branche arbeiteten. Die Vorstellung mancher Planspieler in Brüssel und anderswo, man könnte die Corona-Rezession zum Anlass nehmen, um nun Ökologisierung und Digitalisierung zu beschleunigen, muss sich im Kontakt mit der sozialen und politischen Realität erst bewähren. Vom Ballermann-Tourismus leben viele Menschen, die sich nicht so einfach (beziehungsweise gar nicht) auf Photovoltaik-Ingenieur und 5G-Netzwerkplanerin umschulen lassen. Sie haben auch Familien, Kinder, Ängste, Hoffnungen. Soll ihnen nicht von der EU geholfen werden, weil sie von einer Wirtschaftsform abhängig sind, die nicht nachhaltig ist? Das wäre moralisch fragwürdig, und es würde populistischen Bewegungen enormen Zulauf bringen, Stichwort: Gilets Jaunes.

Die halbe Billion Euro sollte also klugerweise in eine sanfte, aber klare Diversifikation der Volkswirtschaften der Mittelmeerstaaten fließen. Wird sie das? Man muss es bezweifeln. Seit mehr als 40 Jahren versucht Europa, das von Brüssel aus mit der Regionalpolitik und dem Einsatz von viel Geld zu erreichen. Deren Scheitern ist offensichtlich, wie man alle paar Jahre in den eigenen Berichten der Kommission lesen kann. Wird der EU-Wiederaufbaufonds nach dieser Fasson gestrickt, droht er also, viele der in ihn gesteckten Hoffnungen herb zu enttäuschen.

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