Coronakrise

Österreichische Kinder und Jugendliche plagen "Ängste in allen Facetten"

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Die Zahl der Beratungen bei „Rat auf Draht“ stiegen in der Coronakrise enorm. Psychische Probleme verdrängen klassische Teenager-Sorgen wie die erste Liebe, Streit mit Freunden oder Taschengeld.

Die Coronakrise macht auch Österreichs Kindern und Jugendlichen zu schaffen. Das zeigen die Zahl der telefonischen Beratungen bei "Rat auf Draht“, die im April im Vergleich zum Vorjahr um ein Drittel angestiegen ist. Im zuletzt ausgebauten Chat-Bereich wurde sogar um 82 Prozent mehr beraten. Vor allem psychische Probleme machen den Hilfesuchenden der anonymen und kostenlosen Hotline zu schaffen.

"Wir beobachten eine besorgniserregende Entwicklung. Fragen zur psychischen und physischen Gesundheit sind im Themen-Ranking sehr weit oben, während klassische Teenager-Sorgen wie die erste Liebe, Streit mit Freunden oder Taschengeld zusehends in den Hintergrund rücken", schilderte Birgit Satke, Leiterin von "Rat auf Draht", am Dienstag bei einem Pressegespräch.

Die Kinder und Jugendlichen plagen laut Satke "Ängste in allen Facetten". So sorgen sich viele, dass sie sich selbst oder Familienmitglieder mit dem Coronavirus anstecken könnten. Auch Zukunftsängste hinsichtlich der Schule, der Jobaussichten oder der beruflichen Situation der Eltern stellen ein Problem dar.

Psychische Gewalt, Schlafprobleme, Depressionen

Die psychische Gewalt innerhalb der Familie stieg besonders drastisch an. Im April des Vorjahres gab es 31 diesbezügliche Beratungen, heuer waren es 149. "Die Kinder und Jugendlichen werden beispielsweise ständig von ihren Eltern angeschrien und bekommen gesagt, dass aus ihnen niemals etwas werde, wenn sie ihre Hausaufgaben nicht erledigen", sagte Satke. Viele wüssten nicht, dass psychische Gewalt unter Strafe stehe.

Ebenfalls einen starken Anstieg gab es hinsichtlich von Schlafproblemen (240 Prozent), Anfragen zu psychischen Erkrankungen wie Panikattacken oder Depressionen (146 Prozent), Suizidgedanken und Autoaggression wie etwa Ritzen (jeweils 54 Prozent) sowie physischer Gewalt in der Familie (88 Prozent).

"Familien drohen in der Corona-Krise zu zerbrechen", warnte Katrin Grabner, Kinderrechtsexpertin bei SOS-Kinderdorf. Das werde mitunter dadurch verstärkt, dass auf manche Säule des Gesundheitssystems zuletzt vergessen wurde. "Viele Behandlungen psychischer Erkrankungen waren ausgesetzt. Dabei werden belastete Jugendliche zu kranken Erwachsenen", mahnte die Kinderrechtsexpertin.

Zu wenig Therapieplätze

"Kinder, Jugendliche und ihre Familien zu entlasten, muss nun oberste Priorität haben", forderte Grabner. Eine Ausweitung des Angebots von Therapieformen per Telefon oder Videochat, die gut angenommen werden, würde sich anbieten. Dazu müssten diese Therapieformen aber auch zu abrechenbaren Kassenleistungen werden, so die Kinderrechtsexpertin. Generell mangele es an rund 70.000 kassenfinanzierten Therapieplätzen für Kinder und Jugendliche in Österreich. Manches Bundesland müsse ohne Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie mit Kassenvertrag auskommen.

Zudem könnten nun mit der Öffnung der Schulen viele Probleme der vergangenen Wochen erst an die Oberfläche dringen. "Lehrer dürfen mit dieser Aufgabe nicht allein gelassen werden. Es braucht einen Ausbau der Schulpsychologie und Sozialarbeit", sagte Grabner.

Chat-Beratung wieder eingeschränkt

Das zuletzt ausgeweitete Chat-Beratungsprogramm von "Rat auf Draht" wird bis Ende dieses Schuljahres aufrechterhalten, aber zusehends zeitlich eingeschränkt. Ab 18.00 Uhr werden jedoch auch in den Ferien weiterhin Experten von "Rat auf Draht" per Online-Chat zur Verfügung stehen. "Rat auf Draht" sei zum überwiegendem Teil auf Spenden angewiesen. Lediglich ein Drittel der Kosten werde von der öffentlichen Hand getragen.

Kontakt

Der Kinder- und Jugendnotruf "Rat auf Draht" ist unter der Nummer 147 rund um die Uhr sieben Tage die Woche erreichbar, die Beratung erfolgt anonym und kostenlos. Auch Online-und Chat-Beratung wird angeboten. Weitere Informationen auf www.rataufdraht.at

(APA)

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