Lässt sich die Coronakrise bereits im Staatshaushalt abbilden? Die Opposition findet: ja. Und attackiert im Nationalrat den Finanzminister.
Gernot Blümels Mimik ist normalerweise schon schwer zu deuten, aber dieses Mal ganz besonders, weil er sie hinter einer Maske versteckt. Einer schlichten OP-Maske übrigens, die im Kontrast steht zu den bunten Stoffen vor Nasen und Mündern der meisten Abgeordneten. Der Finanzminister nimmt sie nur ab, wenn er einen Schluck Wasser trinkt. Ansonsten muss man sich mit seinem Blick begnügen, der einmal zum Redner neben ihm wandert, einmal in eine Mappe vor ihm und meistens ins Leere.
Die Abgeordnete Karin Doppelbauer (Neos) versucht den Finanzminister mit einem Zitat seines Lieblingsdichters Ovid aus der Reserve zu locken. Aber das misslingt. Dann überreicht sie ihm einen türkisen Mistkübel, auf dem „Ein Budget zum Kübeln“ geschrieben steht: wieder nichts. Der Sozialdemokrat Maximilian Köllner sucht nach seiner angriffigen Rede den Augenkontakt zum Finanzminister. Doch der erwidert den Blick nicht.
Man wüsste nur zu gern, was an diesem Dienstag, dem ersten von drei Budgetberatungstagen im Nationalrat, in Gernot Blümel vorgeht. Zum Beispiel, als SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner die Kritik der gesamten Opposition zusammenfasst: dass nämlich die Kosten „dieser Jahrhundertkrise“ keinen Niederschlag im Budget gefunden hätten. Und dass von den versprochenen 38 Milliarden Euro Coronahilfen „gerade einmal 460 Millionen“ vergeben worden seien.
„Ein falsches Budget“
Herbert Fuchs, unter Türkis-Blau Staatssekretär im Finanzministerium und nun Budgetsprecher der FPÖ, hat die Hoffnung in Bezug auf Gernot Blümel offenbar schon aufgegeben, er redet lieber den „97 schwarz-grünen Abgeordneten“ ins Gewissen, die am Donnerstag „wissentlich ein falsches Budget beschließen werden“. Zahlenmäßig stellt sich die Lage laut Fuchs folgendermaßen dar: Im Budget sei ein Defizit von nur 600 Millionen Euro vorgesehen, das Finanzministerium habe aber bereits im April ein zu erwartendes Minus von 30,5 Milliarden Euro nach Brüssel gemeldet. Was Gernot Blümel später als bloße Schätzung abtun wird.
Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger deutet kurz Verständnis für den Finanzminister an, dass nicht jede Zahl im Budget „auf Punkt und Beistrich“ halten werde. Aber die Hoffnung hinter Gernot Blümels Maske währt nur kurz: Nicht einmal „zu versuchen, ein seriöses Budget mit Nachtrag zu liefern – das ist eine Respektlosigkeit gegenüber der Volksvertretung“. Besonders ärgerlich findet Meinl-Reisinger den „Blankoscheck“ für die Regierung, das Budget um bis zu 28 Corona-Milliarden überziehen zu können.
Und noch bevor Gernot Blümel sich selbst verteidigen kann, kommen ihm die Klubchefs von ÖVP und Grünen zu Hilfe. „Wir können momentan nur von einer Momentaufnahme sprechen, alles andere wäre unseriös“ , sagt August Wöginger. „Auch wenn uns Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht hat, ist das türkis-grüne Regierungsprogramm im Budget abgebildet“, sagt Sigrid Maurer.
Dann endlich nimmt Gernot Blümel die Maske ab und spricht folgende Sätze ins Mikrofon: Er sei der Meinung, „dass es sinnvoll ist, dieses Budget in dieser Form zu beschließen“. Weil dadurch etwa Mittel für die Bereiche Justiz, Umwelt- und Klimaschutz, Polizei oder Wissenschaft erhöht würden. Doch es wäre „höchst unseriös“, schon jetzt coronabedingte Kosten in den Staatshaushalt einzupreisen. Zumal die Wachstumsprognosen stark divergieren: „von minus drei bis minus neun Prozent“.
Lieber ein Hotelier als ein Philosoph
Die Opposition überzeugen diese Argumente nicht. Christoph Matznetter (SPÖ), auch ein ehemaliger Finanzstaatssekretär, schlägt den ÖVP-Abgeordneten Gabriel Obernosterer als neuen Finanzminister vor. Immerhin habe der Hotelier zuvor gestanden, Budgets für seine Betriebe in Kärnten zustande gebracht zu haben. Also – Matznetter deutet auf Blümel: „Brauchts keinen Philosophen da hinsetzen, nehmts einen Erfahrenen.“
Ein anderer Hotelier, Sepp Schellhorn (Neos), bietet Blümel einen Rollentausch an, was Barbara Neßler (Grüne) „absurd“ findet: „Unser Staat ist kein Unternehmen.“ Erwin Angerer (FPÖ) will jedem Österreicher einen Tausend-Euro-Gutschein zukommen lassen (einzulösen bei einem in Österreich steuerpflichtigen Unternehmen) und erklärt Wiens Gastro-Gutscheine verteilenden Bürgermeister, Michael Ludwig (SPÖ), zum Vorbild. Klaus Lindinger (ÖVP) liest einen Abänderungsantrag in voller Länge vor und ermutigt jene Abgeordnetenkollegen, die sich noch nicht mit ihrem Smartphone beschäftigen, sich mit ihrem Smartphone zu beschäftigen.
Und dann wittert die SPÖ ihre Chance bei frustrierten Unternehmern, die – wie Vizeklubchef Jörg Leichtfried sagt – auf der Suche nach Hilfe im Kreis geschickt würden. „In Deutschland haben sie nach 48 Stunden das Geld. In Österreich dauert es 48 Stunden, den Vertrag auszufüllen.“ Dem ÖVP-Kollegen Karlheinz Kopf, Wirtschaftskammer-Generalsekretär von Beruf, gefällt das gar nicht. Und was macht Gernot Blümel hinter seiner OP-Maske? Er schaut.