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„Little Fires Everywhere“: Am Ende siegt trotz allem der Hass

Little Fires Everywhere
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„Little Fires Everywhere“ mit Reese Witherspoon beobachtet, wie das perfekte Leben einer Vorstadtmutter scheitert.

Eine Mutter mit ihrer Tochter. Ihrer überaus rebellischen Tochter: Neulich hat sie sich mit schwarzem Filzstift „I'm not your puppet“ auf die Stirn gemalt und ist so beim Konzertabend aufgetreten. Alle im Publikum haben es gesehen! Aber jetzt hat Izzy sich ein hübsches Kleid angezogen und sogar die wilden Haare gebändigt, sie will zum Schulball gehen, Elena ist begeistert. Und sieht, mit mütterlichem Blick, ein Tröpfchen Blut, das ihrer Jüngsten übers Schienbein rinnt. Sie nimmt sie an der Hand, geht mit ihr ins Badezimmer und zeigt ihr, wie man richtig mit dem dem Rasierer umgeht, vorsichtig, damit sie sich nicht schneidet, es ist eine ganz und gar intime und zärtliche Szene.

Eine andere Szene, nicht minder traut: Zwei Mütter unterhalten sich da, die eine schwarz, die andere weiß, eine von der Hand in den Mund lebend und von Ort zu Ort ziehen, die andere wohlhabend und sesshaft mit Blumenbouquets in der Eingangshalle. Sie haben schon etwas getrunken, da erzählt Elena davon, wie schwer es ihr fällt, ihr Kind loszulassen zu müssen, es nicht mehr halten zu dürfen, umarmen zu können, als dürfte man an einem Apfel nur mehr riechen, sagt sie, wo man ihn doch verschlingen möchte, ganz und gar, mitsamt den Kernen. „Mitsamt den Kernen“, wiederholt die andere langsam und nickt.

Reese Witherspoon als Supermutter

Die beiden könnten Freundinnen werden. Mutter und Tochter aus der ersten Szene könnten sich näher kommen. Warum beides nicht geschieht, warum Hass und Verzweiflung siegen werden und nicht Liebe und Freundschaft und das schöne Heim Elenas in Flammen aufgehen wird (kein Spoiler, mit dem Brand wird die Serie eröffnet), davon erzählt die von Liz Tigelaar („Revenge“) entwickelte, auf einem Roman von Celeste Ng basierende Serie „Little Fires Everywhere“.

Reese Witherspoon spielt darin eine vor guter Laune und Effizienz schier berstende Mutter von vier Kindern, die im beschaulichen Shaker Heights allmorgendlich die Jausenbrote richtet und die Termine der Familie mit Hilfe von verschiedenfarbigen Post-its koordiniert. Hier ist alles klar getaktet, sogar der Sex (mittwochs und samstags), hier hat alles seinen Platz, und als Elena eines Morgens einen schäbigen Wagen entdeckt, in dem eine schwarze Frau schläft, ruft sie gleich den Polizisten des Grätzels an. Sicher ist sicher. Nicht wahr?

Im Auto: Die Künstlerin Mia (Kerry Washington) und ihre Tochter Pearl. Die beiden werden sich in Shaker Heights niederlassen und das Unglück wird seinen Lauf nehmen. Weil Mia nicht bemerken will, dass ihre Pearl sich nach einem hübschen Heim sehnt, nach Beständigkeit statt Vagabundentum, und deshalb immer öfter die Zeit mit Elenas Familie verbringt. Weil auch Elena ihrer rebellischen Tochter Izzy nicht geben kann, was sie braucht, und diese deshalb umgekehrt Zuflucht bei Mia sucht. Weil das Misstrauen der Frauen zu groß ist, gegenüber der anderen Mutter, gegenüber den eigenen Kindern.

Und weil diese beiden Familien mehr trennt als unterschiedliche Lebensweisen: Als Pearl von Wachleuten dabei erwischt wird, wie sie in einen Schrottplatz eindringt, ist Mia außer sich und brüllt ihre Tochter an. Elena kann das nicht verstehen: Ist doch nichts dabei! Ein harmloser Streich! Wie kann man so überreagieren. Was sie nicht versteht: Für weiße Kinder mag es ein harmloser Streich sein. Aber für schwarze . . .

Und das ist so gut beobachtet, dass man der Serie die eine oder andere Überzeichnung (der getimte Sex) oder hanebüchene Nebenhandlung (das entführte chinesische Baby) gern verzeiht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2020)

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