Konjunktur

EZB-Chefin begräbt Hoffnung aus milden Konjunktureinbruch

EZB-Präsidentin Christine Lagarde
EZB-Präsidentin Christine LagardeAPA/AFP/DANIEL ROLAND
  • Drucken

EZB-Präsidentin Christine Lagarde geht von einem BIP-Rückgang von bis zu 12 Prozent aus.  In Österreich verlangsamen sich der Abschwung in Industrie und Job-Abbau bereits.

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Eurozone dürfte heuer um 8 bis 12 Prozent sinken, sagte die Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB) am Mittwoch bei einer Veranstaltung mit Jugendlichen. Bisher hatten die Währungshüter 5 bis 12 Prozent Minus angenommen. Die Chancen auf einen vergleichsweise "milden" Einbruch seien nicht mehr vorhanden, räumte Lagarde ein. Stattdessen dürfte der Einbruch nun im "mittleren" bis "schweren" Bereich des ursprünglichen Szenarios liegen.

Das Bruttoinlandsprodukt in der Eurozone war bereits im ersten Quartal mit 3,8 Prozent in Rekordtempo geschrumpft. Im laufenden zweiten Vierteljahr rechnen Experten mit einem Minus zwischen 10 und 20 Prozent. Die Euroländer hatten mit umfangreichen Geschäftsschließungen und Beschränkungen des öffentlichen Lebens auf den Virusausbruch reagiert, was weite Teile der Wirtschaft stark beeinträchtigte.

Düstere DIW-Prognose

Düstere Prognosen gibt es auch in Deutschland: Das DIW-Institut erwartet einen Konjunktureinbruch von mehr als 10 Prozent für das laufende Quartal und danach nur eine langsame Belebung. Das DIW-Konjunkturbarometer sei im Mai wegen der Coronakrise auf ein Rekordtief von 20 Punkten gesunken, teilten die Berliner Forscher und Regierungsberater am Mittwoch mit.

Mit den ersten Lockerungen der Eindämmungsmaßnahmen nehme die Wirtschaft zwar etwas Fahrt auf. "Der Einbruch ist aber drastisch und eine vollständige Erholung wird sehr lange auf sich warten lassen", sagte DIW-Konjunkturchef Claus Michelsen. "Das Auslandsgeschäft dürfte angesichts der weltweit verheerenden Folgen der Coronapandemie wegbrechen und die Nachfrage vor allem nach Investitionsgütern schwach bleiben." Dies treffe die deutschen Exporteure stark.

Zudem änderten die Verbraucher ihr Verhalten, um das Infektionsrisiko zu reduzieren. "Dass Betriebe und Dienstleister Stück für Stück zum Normalbetrieb zurückkehren, ist das eine", sagte DIW-Experte Simon Junker. "Dass Produkte und Dienstleistungen aber wieder so nachgefragt sind wie vor Ausbruch der Pandemie, ist etwas ganz anderes." Viele Konsumenten seien verunsichert und würden sich mit größeren Anschaffungen zurückhalten - "zumal nicht wenige Menschen Einkommenseinbußen hinnehmen müssen, weil sie etwa in Kurzarbeit oder arbeitslos sind".

Die GfK-Marktforscher hatten zwar jüngst ein leicht aufgehelltes Konsumklima in Deutschland festgestellt. Sie betonten aber auch, dass die Verunsicherung der Verbraucher weiter groß sei. Sinkende Konsumausgaben und schrumpfende Investitionen hatten die deutsche Wirtschaft bereits im ersten Quartal um 2,2 Prozent einbrechen lassen.

Abschwung in Österreich abgeschwächt

Das Tempo des Abschwungs der heimischen Industrie und des Job-Abbaus dort infolge der Coronakrise geht bereits deutlich zurück. Die Betriebe würden die Produktionsleistung etwas weniger stark reduzieren, da auch der Rückgang des Neugeschäfts langsamer erfolge, erklärten Ökonomen der Bank Austria am Mittwoch. Auch der Beschäftigungsabbau gehe zwar weiter, aber in einem geringeren Ausmaß.

Nach dem Rekordtief im April hat sich der Bank-Austria-Einkaufsmanagerindex im Mai um fast 9 Punkte verbessert, ist mit 40,4 Punkten aber noch immer weit vom Wachstumsbereich entfernt. Auch der Index der Produktionserwartungen hat sich nach einem Tiefpunkt im April um mehr als 10 auf 40,6 Punkte erholt.

Fürs zweite Halbjahr erwarten die Experten des Instituts einen spürbaren Aufschwung, der den Rückgang der Industrieproduktion im Gesamtjahr auf unter 10 Prozent begrenzen sollte. Falls die Pandemie nicht wieder auflebt, sollte 2021 die heimische Industrie "wieder klar auf Wachstumskurs segeln können", heißt es.

Trotz der historisch stärksten monatlichen Verbesserung im Mai hält die im März begonnene Talfahrt der heimischen Industriekonjunktur weiter an. Der Einbruch habe sich mit den ersten Lockerungsmaßnahmen im Mai zu verlangsamen begonnen, so Bank-Austria-Chefökonom Stefan Bruckbauer. Der Rückgang bei Produktion und Neugeschäft gegenüber April sei weiter stark, erfolge aber etwas gedrosselt.

Im Mai sei der Produktionsindex gestiegen und liege aktuell zumindest wieder etwas höher als am Höhepunkt der Finanzkrise zur Jahreswende 2008/09. Der starke Anstieg der Fertigwaren-Lagerbestände und die Preisrückgänge im Ein- und Verkauf würden auf eine ungebrochen schwierige Nachfragesituation hinweisen. Die Neuaufträge aus dem In- und Ausland seien auch im Mai stark gesunken. Verantwortlich dafür seien Betriebsschließungen von Abnehmern, logistische Probleme und eine Zurückhaltung der Kunden wegen der herrschenden Verunsicherung. Besonders zurückhaltend seien Abnehmer aus dem Ausland.

Die Auftragspolster der heimischen Betriebe nahmen - angesichts der anhaltenden Flaute im Neugeschäft - trotz der starken Produktionsrücknahme und vereinzelten Fertigungsunterbrechungen im Mai ab. Die Zahl der Neuaufträge war in diesem Monat somit geringer als die Zahl der erledigten Aufträge.

Den Job-Abbau zur Anpassung der Produktionskapazitäten an den Nachfragerückgang haben die heimischen Betriebe im Mai fortgesetzt. Laut Bank-Austria-Ökonom Walter Pudschedl beträgt die Arbeitslosenquote des Sektors fast 6 Prozent und liegt damit mehr als 2 Prozentpunkte über Vorjahr. Verglichen mit der Gesamtwirtschaft sei die Arbeitslosenquote der Industrie während der Krise aber weniger stark gestiegen und derzeit auch nur halb so hoch wie dort. Während im Dienstleistungssektor nach den ersten Lockerungen der Arbeitsmarkt etwas Dynamik gewonnen habe, werde sich die Erholung in der Industrie zäher gestalten. Mit im Schnitt 5 Prozent werde die Industrie-Arbeitslosenquote 2020 zwar deutlich unter den erwarteten rund 11 Prozent der Gesamtwirtschaft liegen, aber deutlich über den 3,7 Prozent des Vorjahres.

(APA/Reuters/dpa)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.