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"Präventionsdilemma": Waren die Corona-Maßnahmen passend?

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne)
Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) APA/HELMUT FOHRINGER
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„Wir machen etwas, dann passiert nichts, dann denken wir uns, es wäre eh gut ausgegangen.“ Hätte Türkis-Grün sieben Tage später reagiert, hätte es eine Vervierfachung der Neuerkrankungen gegeben, sagt Simulationsforscher Popper. Und: Die Intensivstationen wären an ihr Limit gekommen.

37 neue Infektionen mit dem Coronavirus, 58 neu Genesene: So lauten die aktuellen Zahlen, die Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) am Donnerstag bekanntgegeben hat. Das seien erfreuliche Werte, betonte der Ressortchef. Doch: Würde es sie heute auch geben, hätte man die strengen Maßnahmen - die Schließung von Geschäften und Schulen, Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen, Absage von Veranstaltungen sowie Hygienevorschriften - im März nicht gesetzt? Oder zu einem anderen Zeitpunkt?

„Die richtigen Maßnahmen zum richtigen Zeitpunkt und die Akzeptanz der Bevölkerung“, das seien die drei Säulen, auf die die türkis-grüne Bundesregierung gesetzt habe, meinte Anschober. Allerdings: Einige Stimmen würden nun laut, die meinten, es sei ja gar nicht so schlimm gekommen, wie anfangs befürchtet. Von überzogenen Schritten sei die Rede. Davon, dass man die Gesellschaft zu langsam wieder öffne. Diesen Stimmen wollte man nun mit Modellrechnungen entgegentreten, so Anschober. Zum einen mit deutschen, zum anderen mit österreichischen.

Berechnungen des deutschen Max-Planck-Instituts hätten gezeigt, dass sich in Deutschland die Wachstumsrate der Virusverbreitung durch die Absage von Großveranstaltungen von 30 auf zwölf Prozent reduziert habe. Das Schließen von Schulen, Universitäten und Geschäften hätte die Zahlen dann weiter sinken lassen, ebenso die Reduktion der sozialen Kontakte. Das Fazit: Die Kombination der Maßnahmen habe letztlich den größten Effekt gehabt.

Ähnliches hätten Experten nun für Österreich vorgelegt, so Anschober. Freilich, „ein Virus ist schwer berechenbar und prognostizierbar“, man habe es aber versucht - auch, um für die Zukunft zu lernen.

Intensivstationen am Limit

„In der Literatur spricht man vom Präventionsparadoxon oder dem Präventionsdilemma“, ergänzte Herwig Ostermann, Geschäftsführer der Gesundheit Österreich (GÖG). „Wir alle wissen, dass sich Pandemien irgendwann abflachen“, räumte er ein. Die Frage sei aber: Wann tun sie das und mit wie vielen Opfern ist das verbunden. Noch knapper formulierte Simulationsforscher Nikolas Popper die Lage: „Wir machen etwas, dann passiert nichts, dann denken wir uns, es wäre eh gut ausgegangen.“

So sei da aber nicht: Wären die Maßnahmen im März sieben Tage später gesetzt worden, „hätten wir eine Vervierfachung der positiv getesteten Fälle gehabt“, meinte Popper. Am Höhepunkt der Epidemie wären das 40.000 Betroffene gewesen, die Belegung der Intensivbetten hätte wohl ihr Limit erreicht. Türkis-Grün habe also „keinesfalls“ zu spät reagiert.

Auch die späte Schulöffnung bzw. ihre schrittweise Öffnung, bewertet Popper positiv. Wäre diese früher erfolgt, hätte man einen raschen Anstieg an Infizierten gemessen, da man die Zahl der Überträger bis dahin „noch nicht ausreichend gedrückt“ hätte.

„Das Virus ist nicht auf Urlaub gefahren, es ist nicht weg aus Österreich, es ist noch da“, mahnte Anschober abschließend dazu, jetzt „nicht unvorsichtig zu werden“. Die Hygiene- und Abstandsmaßnahmen sollten unbedingt weiter eingehalten werden, sodass man schrittweise wieder alles öffnen könne.

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