Debatte

Woher kommt das Misstrauen gegenüber der Forschung?

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Seit wann gelten Fakten als verhandelbar? Wie konnte ein Virologe wie Christian Drosten zur Zielscheibe des Boulevards werden? These: Ausgerechnet der Erfolg von Wissenschaft und Aufklärung wendet sich gegen sie.

Ein alter Spruch, ein schöner Spruch. Und noch schöner, weil er so doppeldeutig ist: Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit, hieß es bei Aulus Gellius – und der Autor meinte das durchaus optimistisch: Man müsse nur abwarten, dann komme sie schon ans Licht. In späteren Jahrhunderten malten Künstler die Wahrheit dann gern als nackte Schöne – die Zeit, in Gestalt eines zuweilen durchaus lüstern blickenden Mannes, hat ihr das Gewand abgenommen. Nun ja. Aber die Botschaft war klar: Die Wahrheit, es gibt sie. Man muss sie nur enthüllen. Leonardo da Vinci war sich da schon nicht mehr so sicher: Er ergänzte den Spruch durch zwei Wörtchen: „Die Wahrheit war immer nur eine Tochter der Zeit.“ Und verkehrte damit die Aussage in ihr Gegenteil.

Und dabei ist es geblieben. Zum Glück. Die Wahrheit als etwas nicht Absolutes zu betrachten, ist nicht nur eine erkenntnistheoretische Spielerei, mit der Studierende auf Heimaturlaub im ehemaligen Stammlokal jüngere Gymnasiasten verblüffen. Es ist eine gesellschaftliche Errungenschaft. So war Fortschritt möglich, so das Projekt Aufklärung: Die Erde dreht sich um die Sonne. Es ist nicht Gottes Gesetz, dass an der Spitze eines Landes ein Monarch steht. Der Mensch hat die gleichen Vorfahren wie der Affe. Glaubensmaximen wurden gestürzt und Gesellschaftssysteme, auch wissenschaftliche Dogmen. Heute wissen wir um die historische Bedingtheit von Wahrnehmung, die Unzuverlässigkeit von Quellen, die Vergänglichkeit von scheinbar gesicherten Erkenntnissen, um die Grenzen der Objektivität. Schrödingers Katze? Sie stirbt. Und sie lebt. Und ist gerade deshalb so beliebt.

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