Junge Forschung

Gene, die das Schummeln lernten

Manche Fadenwürmer brauchen als Embryo ein Gegengift, sonst wächst ihnen kein Mund, fand Alejandro Burgas Team heraus.
Manche Fadenwürmer brauchen als Embryo ein Gegengift, sonst wächst ihnen kein Mund, fand Alejandro Burgas Team heraus.Clemens Fabry
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Wie sich genetische Elemente rücksichtslos den Weg durch die Generationen bahnen, untersucht der Molekularbiologe Alejandro Burga an einem erstaunlichen Phänomen.

Mit den Fadenwürmern aus Alejandro Burgas Labor geschieht Merkwürdiges: Paaren sie sich mit den Falschen, wächst ihren Nachkommen kein Mund – die noch jungen Tiere müssen verhungern. Das klingt nach bösem Zauber, doch der Grund für dieses Phänomen versteckt sich in ihrem genetischen Bauplan, versichert der Forscher des Instituts für Molekulare Biotechnolgie (IMBA) der Akademie der Wissenschaften.

Allerdings verhält es sich damit ganz anders, als man Jahrzehnte lang dachte: „Als man die für dieses Phänomen verantwortlichen Gene vor dreißig Jahren entdeckte, hielt man sie für Entwicklungsgene für den Mund – denn wenn sie fehlen, kann sich dieser Körperteil nicht ausbilden“, erklärt der Molekularbiologe. „Doch die Wahrheit, auf die wir gestoßen sind, ist viel faszinierender: Die Embryos starben nicht, weil ihnen die genetische Bauanleitung für einen Mund, sondern für ein Gegengift gegen ein Toxin fehlte, das seine Entwicklung hemmt. Dieses Toxin bildet die Mutter in ihren Eizellen.“

Die miesen Tricks egoistischer Gene

Mit jeder Zellteilung verbreitet sich das Gift im jungen Wurm, aber erst in einem bestimmten Entwicklungsstadium des Embryos wird es aktiv und verhindert dann, dass sich ein Mund bildet – es sei denn, der Embryo trägt ein sogenanntes egoistisches genetisches Element in sich, das die Bauanleitung für das Gegengift parat hält. Der Clou an der Sache: Das genetische Element enthält auch die Bauanleitung für das Gift. „Diese Elemente funktionieren völlig anders, als man es gemeinhin von Genen erwarten würde: Sie haben keine Funktion für den Organismus, sondern ihr einziger Zweck ist es, sich selbst zu vermehren“, so Burga.

Das gelingt ihnen, indem sie sich an den Mendelschen Regeln vorbei schummeln: Während „normale“ Genvarianten eines Elternteils eine 50-prozentige Chance haben, an die Nachkommen vererbt zu werden (schließlich sind ja alle durch Sex vermehrten Organismen halb Vater, halb Mutter), erhöhen egoistische genetische Elemente ihre Chance durch miese Tricks – wie etwa das Vergiften aller Nachkommen, die es nicht vererbt bekommen. Burga: „Bei unseren Würmern vererbt sich dieses Element zu hundert Prozent an die Nachkommen, denn alle anderen sterben.“

Der Prozess, der auch als „Gene Drive“ bezeichnet wird, kann in kürzester Zeit bestimmte Genvarianten in einer ganzen Population von Organismen verbreiten, was verschiedenste Anwendungen denkbar macht, betont der Forscher. So wird etwa daran gearbeitet, solche genetischen Elemente in bestimmte Stechmückenarten zu übertragen, die gefährliche Infektionskrankheiten wie Malaria oder Denguefieber übertragen. Denn mit dem richtigen Mechanismus ließen sich praktisch beliebige Gensequenzen verbreiten, beispielsweise auch solche, die nur noch unfruchtbare Weibchen hervorbringen. So könnte man ganze Spezies ausrotten – was aber eine Menge ethischer Fragen aufwirft, merkt Burga an.

Das Wissen um die molekularen Mechanismen der egoistischen genetischen Elemente könnte man aber auch nutzen, um etwa Kreuzungen zwischen Wild- und Zuchtreis wieder fruchtbar zu machen. Solche Hybride bringen meist mehr Ertrag, ihre Samen lassen sich aber nicht mehr aussähen. Der Grund dafür sind ebenfalls egoistische genetische Elemente – gelänge es, sie auszuschalten, könnte damit ein großer Beitrag zur Ernährung der Weltbevölkerung geleistet werden, ist sich Burga sicher.

Auch deshalb hat er sich der Erforschung dieses außergewöhnlichen Phänomens verschrieben. Den aus Peru stammenden Wissenschaftler faszinierte seit frühester Kindheit die Natur. „Schon im Kindergarten habe ich lieber mit Ameisen als mit den anderen Kindern gespielt“, scherzt Burga. Spätestens in der Oberstufe, als gerade das menschliche Genom entschlüsselt war, begann er dann für die Genetik zu brennen: „Ich wollte die Sprache der Gene lernen.“ Die Leidenschaft für seine Arbeit ist ihm geblieben – nur viel Raum für Hobbys lässt sie nicht. Seine Freizeit verbringt der Vater eines Zweijährigen meist am Spielplatz.

Zur Person

Alejandro Burga (34) begann sein Studium der Biochemie an der Universität in Santiago de Chile und schloss es am Center for Genomic Regulation in Barcelona ab, wo er 2012 auch summa cum laude promovierte. Darauf folgten Forschungsaufenthalte an der Princeton University und der UCLA in Kalifornien. 2019 gründete er seine eigene Forschungsgruppe am IMBA in Wien.

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