Glaubensfrage

Die Kirche hat Geburtstag

Pfingsten gilt als ihre Geburtsstunde. Und heuer überrascht Österreichs zuletzt müde wirkende Kirche.

Ist es Hochmut zu sagen, nicht alle Schreiben von Bischöfen müssten unbedingt von einer breiteren Öffentlichkeit gelesen werden? Nein. Trifft der Befund auch auf das knapp vor Pfingsten vorgelegte Hirtenwort zu? Nein.

Schon der Sachverhalt überrascht: dass eine, was Umfang und Themen betrifft, ausführliche Stellungnahme veröffentlicht wird. Die geweihten Spitzen der Kirche schienen müde und in der Coronapandemie sprachlos geworden. Angesichts der traditionellen Fixierung der katholischen Kirche auf bis ins Detail formulierte rigide Regeln und der Kenntnis um die Bedeutung von Hierarchien haben die Bischöfe wie hypnotisiert auf die Regierung und deren Covid-19-Vorgaben gestarrt. Dafür, dass der Eindruck entstanden sein könnte, sich nur mit den eigenen Abstands- und Anstandsregeln befasst zu haben, bitten die Bischöfe nun sogar um Entschuldigung. Kein Stein fällt ihnen aus der Mitra.

Überraschend sind insgesamt Diktion und Inhalt. Die Bischöfe wenden sich an alle in Österreich Lebenden (nicht an die Österreicher, nicht an die Katholiken exklusiv). Sie fordern einen „neuen Geist“ (Pfingsten, wir wissen es!), einen „neuen Solidaritätspakt“, einen „Wettlauf der konstruktiven Ideen“, um Wege aus der Krise zu finden. Die betont bescheidene Formulierung nach der selbst gestellten Frage, wo die Quellen von Kreativität und Innovation liegen: „Als Antwortversuch möchten wir den Schatz unseres christlichen Glaubens gerne mit anderen teilen.“ Kein erhobener Zeigefinger, kein Habitus der Besserwisserei – klingt sympathisch. Die katholische Kirche des Landes positioniert sich neu in der Gesellschaft und hat wieder zur Sprache gefunden – einer verständlichen, zeitgemäßen. Nochmals Pfingsten: „. . . jeder hörte sie in seiner Sprache reden“, aus dem Neuen Testament heißt es nicht umsonst diesmal in der Sonntagslesung und im Vorspann des Hirtenwortes.

Wiedergeburt kann jetzt wirklich nicht als Teil christlicher Doktrin bezeichnet werden. Erneuerung wohl. Das Prinzip der steten Reform der Kirche, Ecclesia semper reformanda, wurde nicht vom Zweiten Vatikanischen Konzil erfunden, eher gekapert. (Die Augustinus wie Luther zugeschriebenen programmatischen Worte gehen wohl auf einen calvinistischen Prediger des 17. Jahrhunderts zurück.) An der Richtigkeit ändert das nichts. Die katholische Kirche hat durch ihre Bischöfe nun neue Markierungen gesetzt und lädt zum Dialog. Natürlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass diese Positionierungen ohne Anflug eines vorangegangenen Dialogs in der Kirche selbst vollzogen wurden. Sei's drum.

Was bleibt: Die Kirche bietet sich als Gesprächspartner an, ohne sich anzubiedern, sie predigt nicht, sondern will den Dialog. Was voraussetzt, dass sie (zu)hört. Und dass auch andere die Bereitschaft zum Sprechen und Hören aufbringen. Aber ohne Hoffnung ist ohnedies alles hoffnungslos.

dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2020)

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