Proteste

Der Machtkampf auf Brasiliens Straßen

Bolsonaro hoch zu Ross bei einer Kundgebung mit jubelnden Anhängern in Brasília.
Bolsonaro hoch zu Ross bei einer Kundgebung mit jubelnden Anhängern in Brasília.(c) REUTERS (UESLEI MARCELINO)
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Der Präsident gegen das Oberste Gericht: Der Konflikt zwischen Anhängern und Gegnern Bolsonaros hat mit Unruhen in mehreren Städten eine neue Stufe erreicht.

Buenos Aires/Brasília. Der Machtkampf zwischen Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro und den Institutionen seines Staates hat sich nun auch auf die Straßen des Landes verlagert. In der Wirtschaftsmetropole São Paulo stießen am Sonntag Anhänger und Gegner des Staatsoberhauptes aufeinander. Auch in Rio de Janeiro gab es gewaltsame Konflikte.

Die Unruhen markieren eine neue Stufe einer immer schärferen Polarisierung des Landes vor dem Hintergrund der Corona-Epidemie. Am Sonntag meldeten die brasilianischen Gesundheitsbehörden 514.849 Infektionen, die Hälfte aller in Lateinamerika registrierten Ansteckungen. Allerdings rechnen Fachleute wegen der geringen Testdichte mit einer mindestens siebenmal höheren Dunkelziffer. In vielen Bundesstaaten des 210-Millionen-Einwohner-Landes sind öffentliches Gesundheitssystem sowie Bestattungswesen zusammengebrochen.

Der Präsident ohne Maske

Bolsonaro nahm auf dem Rücken eines Polizeipferdes ohne Maske an einer Demonstration in Brasília gegen das Oberste Gericht teil. Dessen Richter ermitteln gegen den Staatschef. Dieser soll Einfluss auf die Justiz ausgeübt haben, um Korruptionsermittlungen der den Rechtsbehörden unterstellten Bundespolizei gegen seine Söhne zu bremsen. Außerdem wird den Bolsonaros vorgeworfen, sie hätten mit systematischer Produktion und Versendung von Falschnachrichten die Wahl im Oktober 2018 zu ihren Gunsten beeinflusst. Seitdem das oberste Gericht im April Ermittlungen aufnahm, wurden dessen Mitglieder zur bevorzugten Zielscheibe von Bolsonaro und dessen fanatischen Anhängern.

In São Paulo stieß eine Kundgebung linker Gruppen auf einen Aufmarsch von Bolsonaro-Anhängern, die gegen die Quarantänemaßnahmen des Gouverneurs João Doria marschierten. Die etwa 500 linken Demonstranten, die – in schwarz gekleidet und mit Mundschutz versehen – kundtaten, „für die Demokratie“ einzutreten, trafen auf ähnlich viele „Bolsonaristas“, die ebenfalls im Namen der Demokratie und ostentativ ohne Mundschutz aufmarschiert waren.

Mit Tränengas gegen die Ultras

Brasilianische Medien berichteten, dass die linken Gruppen von Fußball-Ultras angeführt wurden, des Arbeiterclubs Corinthians, aber auch der Erstligisten FC São Paulo, Santos sowie Palmeiras, dem Lieblingsclub des Präsidenten. Die Polizei, die versucht hatte, die Prachtmeile abzusperren, konnte einen heftigen Zusammenprall nicht verhindern und musste schließlich massiv Tränengas einsetzen, um die Szene unter Kontrolle zu bekommen.

Die Pro-Bolsonaro-Märsche gegen die Richter und Gouverneure waren wie oft zuvor über die Sozialmedienkanäle des Präsidenten organisiert worden, die von dessen Sohn Carlos koordiniert werden. Dieser ätzte – via Twitter – nach dem Zusammenstoß erneut gegen die Berichterstattung der traditionellen Medien: „Wir müssen der Presse zu dem absurden Versuch gratulieren, eine ,Verteidigung der Demokratie‘ in einem Aufmarsch von Leuten zu sehen, die mit Messern bewaffnet waren.“

USA schicken Hydroxychloroquin

Am Sonntag wurde auch bekannt, dass Brasilien aus den USA zwei Millionen Dosen des Medikaments Hydroxychloroquin empfangen hat. US-Präsident Donald Trump hat diesen Wirkstoff mehrfach zur Covid-Bekämpfung empfohlen, obwohl die meisten Mediziner – und auch Experten von der Weltgesundheitsorganisation – ihn inzwischen für ebenso wertlos wie gefährlich halten. Die Regierung Bolsonaro hat das Malariamittel vor zwei Wochen zur Behandlung von Covid-Patienten freigegeben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2020)

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