Causa Buwog

„Lauschangriff“-Vorwurf: Gericht wehrt sich

Die meisten Plätze des großen Schwurgerichtssaals blieben wegen der Pandemie leer.
Die meisten Plätze des großen Schwurgerichtssaals blieben wegen der Pandemie leer.APA/ROLAND SCHLAGER
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Bei Fortsetzung des Buwog-Prozesses beklagten Grassers Anwälte, dass das Gericht auch in Prozesspausen Kameras laufen lasse. Dadurch seien nun vertrauliche Gespräche auf Band. Das Gericht wies die Vorwürfe zurück.

„In umseits näher bezeichneter Strafsache stellt Karl-Heinz Grasser (...) diverse Anträge, im Besonderen den Antrag auf Ablehnung (...) des Schöffensenats.“ Mit diesen Worten wandte sich am Dienstag Grasser-Anwalt Norbert Wess an den von Richterin Marion Hohenecker geleiteten Senat des Buwog-Prozesses. Grund dafür: Auch vor und nach der Verhandlung sowie in Prozesspausen seien an jedem der bisher 138 Prozesstage von mehreren Kameras Aufzeichnungen im Saal gemacht worden.

Grundsätzlich muss in jedem Prozess ein Verhandlungsprotokoll geschrieben werden. Die Buwog-Verhandlung wird zusätzlich auf Band aufgezeichnet. Dafür sind Mikrofone auf den Tischen platziert. Außerdem gibt es Kameras, die im Großen Schwurgerichtssaal platziert sind. Sie fertigen Videos samt Tonspur an. Es gibt fünf verschiedene Kameraeinstellungen. „Diese fünf verschiedenen Bildaufnahmen zeichnen ganz unterschiedliche Bereiche im Verhandlungssaal mit Bild- und Ton auf“, erklärte nun der Verteidiger.

Dass Aufnahmen gemacht werden, ist kein Geheimnis. Die Richterin pflegt auch immer daran zu erinnern, dass eben in Bild und Ton aufgezeichnet werde. Doch die offenkundige Vielfalt der Aufnahmen dürfte den Prozessbeteiligten zuletzt nicht so klar gewesen sein.
Und so kamen nun die Anwälte auf diesen Umstand: Weil ihnen die schriftlichen Protokolle des vor Gericht Gesagten oft mit Verspätung übermittelt werden, „oft mit mehr als 300 Kalendertagen Verzug“, wie sie sagen, wurden die reinen Tonaufnahmen beantragt. Auf diesen Bändern sei zu hören gewesen, dass auch während der Verhandlungspausen das Aufnahmegerät lief.

Die Rechtsvertreter wollten der Art des Mitschnitts weiter auf den Grund gehen – und beantragten die Übermittlung der Bild- und Tonaufnahmen. Dabei stellten sie fest, dass „an jedem einzelnen Verhandlungstag, also seit Dezember 2017, auch außerhalb der Hauptverhandlung Bild- und Tonaufnahmen von den Angeklagten und deren Verteidigern angefertigt wurden“.

Es fanden sich, so die Verteidiger, Aufnahmen mit einem viergeteilten Bild und solche, die ein Kamera-Fischauge anfertigte. Dieses Fischauge habe den Verhandlungssaal bis in den Zuschauer- und Journalistenbereich aufgenommen.

Karl-Heinz Grasser mit Corona-Visir, Hauptangeklagter im Buwog-Prozess.
Karl-Heinz Grasser mit Corona-Visir, Hauptangeklagter im Buwog-Prozess. (c) APA/ROLAND SCHLAGER

Anwalt Wess: „Auch Zuseher, Journalisten und sonstige Personen sind auf diesen Aufzeichnungen in Bild und Ton erfasst.“ Teilweise seien Richtmikrofone in Verwendung gewesen: „Die vorliegenden Bild- und Tonaufnahmen zeigen, dass sogar Äußerungen aus einem Abstand von mehr als zehn bis 15 Metern zu den Mikrofonen zu vernehmen sind.“
Die Auswertung der Bild- und Tonaufnahmen der Verhandlungstage eins bis 135 ergebe, dass insgesamt 169 Stunden 30 Minuten 20 Sekunden „unrechtmäßig“ Bild- und Tonaufnahmen außerhalb der Hauptverhandlung produziert worden seien. Dies komme einem „großen Lauschangriff“ gleich. Und erfülle auf objektiver Ebene den Tatbestand der verbotenen Veröffentlichung.

Es sei anzunehmen, dass die Aufnahmen auch den Schriftführern übergeben wurden. Außerdem hätten alle Verfahrensbeteiligte die Möglichkeit gehabt, die Aufnahmen zu beantragen.

Und: Als ein Rechtspraktikant in einer Verhandlungspause ein verdächtiges Gespräch zwischen einem Anwalt und einer dritten Person beobachtete, habe er das Gericht informiert. Ein Aktenvermerk wurde angefertigt. Darin wurde auf Aufnahmen außerhalb der Verhandlung Bezug genommen. Später hielt die Anklage diesen Vermerk einem Zeugen vor. Fazit: „Die außerhalb der Hauptverhandlung mit Bild- und Ton aufgezeichneten Vorgänge fanden somit Eingang in die Hauptverhandlung.“

Wie reagierte nun der Schöffensenat auf die Attacken der Verteidigung? Zunächst wurde der Prozess (auch für den Einsatz eines Desinfektions-Teams) unterbrochen. Der Senat beriet. Danach wies Richterin Hohenecker, Grassers Anträge zurück. Ihnen fehle es an Substanz. Seit längerer Zeit liege der Verteidigung Bild- und Tonmaterial vor.

Es komme auch nicht in Frage, dieses Material, wie von Grasser gewünscht, zu vernichten. Denn schließlich sei der Senat in die Nähe der Illegalität gerückt worden. Eine Vernichtung käme daher einer Vernichtung etwaiger Beweismittel gleich. Zudem erklärte eine Gerichtssprecherin der Austria Presseagentur, die Mikros befänden sich nur am und im Bereich des Richtertisches. Und: „Der Senat erhält nur die verschriftlichten Protokolle, ab Aufruf der Sache bis zum Ende des jeweiligen Tages. Die Aufnahme dient nur der Unterstützung der Schriftführer, um die gewünschte wortwörtliche Protokollierung zu ermöglichen.“ 

Wortlaut

Die Zusammenfassung des von Grasser-Anwalt Norbert Wess in Auftrag gegebenen Gutachtens des Universitätsprofessors Alois Birklbauer vom Institut für Strafrechtswissenschaften der Universität Linz:

1. Sind Bild- und Tonaufnahmen durch das Gericht außerhalb der Hauptverhandlung (insbesondere vor Beginn der Hauptverhandlung und in den Verhandlungspausen) von der StPO (Strafprozessordnung, Anm.) gedeckt?

Diese Frage ist mit Blick auf die StPO sowie die Grundrechte der EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention, Anm.) mit einem klaren Nein zu beantworten. Infolge des mit einer Aufnahme verbundenen Eingriffs in die Privatsphäre (Art 8 EMRK) fehlt es an einer Ermächtigungsnorm, die einen derartigen Eingriff zulassen würde. Die in § 271a StPO normierte Möglichkeit von Aufnahmen zur Unterstützung der Protokollführung erteilt keine entsprechende Erlaubnis, weil in Verhandlungspausen keine Protokolle zu führen sind und Pausen auch nicht Teil der Hauptverhandlung sind. Darüber hinaus steht das aus Art 6 Abs 3 lit c EMRK ableitbare Recht auf effiziente Verteidigung einer derartigen (heimlichen) Aufnahme entgegen, was insbesondere auch aus der Rechtsprechung des EGMR ableitbar ist.

2. Falls derartige Bild- und Tonaufnahmen durch das Gericht nicht gedeckt sind, werden dadurch – auf objektiver Ebene – Strafrechtsbestimmungen verletzt?

Diese Frage kann mit einem klaren Ja beantwortet werden. Dies gilt sowohl für den Missbrauch von Tonaufnahme- oder Abhörgeräten (§ 120 Abs 1 StGB, Strafgesetzbuch, Anm.) als auch den Missbrauch der Amtsgewalt (§ 302 StGB) seitens der verfahrensführenden Richterin.

3. Erscheint ein Richtersenat im Lichte der §§ 43 ff StPO befangen und damit ausgeschlossen, wenn im Lichte obiger Ausführungen dieser Senat, beginnend mit Dezember 2017 bis zum heutigen Tag im Besitz von im Rahmen einer gerichtlichen

Hauptverhandlung, allerdings außerhalb dieser Hauptverhandlung, widerrechtlich angefertigten Bild- und Tonmaterial im Ausmaß von mehr als 169 Stunden ist, welches insbesondere auch Kommunikationen und Interaktionen zwischen Verteidigern und Beschuldigten beinhaltet und derartiges Material bereits in einem konkreten Fall nachweislich eine Auswertung seitens des Richtersenates erfolgt ist?

Diese Frage lässt sich für die vorsitzende Richterin zwar nicht hinsichtlich des Besitzes mit einem Ja beantworten, aber hinsichtlich ihrer Rolle im Zusammenhang mit der Anfertigung und Verwertung des Bild- und Tonmaterials, zumal sowohl nach dem Verständnis der Befangenheitsvorschriften in der StPO, als auch in der EMRK ein objektiver Anschein besteht, dass sie den Verfahrensbeteiligten nicht mehr unbefangen gegenübersteht, weil sie die heimliche Aufzeichnung von Verteidigergesprächen nicht nur nicht unterbunden, sondern Ergebnisse der heimlichen Überwachung im Rahmen ihrer Verhandlungsführung sogar verwendet hat. Gleiches könnte für den beisitzenden Richter angenommen werden, der trotz vorhandener Rechtskenntnis, die aus seiner Richtertätigkeit spricht, und den Aufgaben, die ihm entsprechend der StPO zukommt, weder gegen die heimliche Aufzeichnung noch gegen die Verwendung von einzelnen Überwachungsergebnissen aufgetreten ist. Für die Laienrichter könnte insofern der Anschein einer Befangenheit vorliegen, als diese regelmäßig dem bzw. der Vorsitzenden des Schöffengerichts vertrauen und sich auch mit ihren Handlungen in gewisser Weise solidarisieren, sodass z. B. strafrechtliche Ermittlungen gegen die Vorsitzende von den Laienrichtern als indirekte Ermittlungen gegen die eigene Tätigkeit aufgefasst werden könnten, wodurch ein gewisser objektiver Anschein besteht, dass sie nicht mehr gänzlich unbefangen dem weiteren Verfahren gegenüberstehen.

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