Dass in den Verhandlungspausen Film- und Tonaufnahmen gemacht wurden, sei inakzeptabel und „ein trauriges Beispiel dafür, dass Rechtsstaatlichkeit auch in Österreich gefährdet ist“, kritisiert die Rechtsanwaltskammer Wien.
169 Stunden, 30 Minuten und 20 Sekunden. So lange sollen den Strafverteidigern von Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser zufolge „unrechtmäßige“ Bild- und Tonaufnahmen dauern, die im Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Straflandesgericht angefertigt wurden. Und zwar auch vor und nach der Verhandlung respektive in deren Pausen. Während Norbert Wess und Manfred Ainedter darin einen „Lauschangriff“ orteten, nannte Oberstaatsanwalt Gerald Denk die Vorwürfe einen „Sturm im Wasserglas“. Auch das Gericht zeigte sich unbeeindruckt: Der Schöffensenat unter dem Vorsitz von Richterin Marion Hohenecker wies die Anträge zurück. Ihnen fehle es an Substanz, so die Begründung.
Weniger entspannt bewertet der Strafrechtsprofessor Andreas Venier von der Universität Innsbruck die Lage. „In den Pausen laufende Aufnahmen stellen einen Verstoß gegen die Strafprozessordnung dar, weil nur das in der Verhandlung Gesprochene aufgezeichnet werden darf“, betonte er. Ähnlich kritisch sieht die Causa auch die Rechtsanwaltskammer Wien. Deren Präsident, Michael Enzinger, nannte die „Vorfälle über Missbrauch von Bild- und Tonaufzeichnungen im Buwog-Prozess“ am Donnerstag in einer Aussendung „inakzeptabel".
Freilich, so Enzinger, sei die Nutzung digitaler Hilfsmittel gerechtfertigt, um die „Notlage vieler Gerichte“ zu lindern und die Protokollführung zu erleichtern. Allerdings: Durch den Einsatz von Bild- und Tonaufzeichnungen dürfe „das Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit und Privatsphäre ebenso wenig gefährdet werden wie das durch die Menschenrechtskonvention definierte Recht von Beschuldigten auf ein 'fair trial'.“ Dazu zähle auch, „dass die Kommunikation zwischen Verteidiger und Mandant absolut geschützt sein muss, also Tabu für Gerichte und Staatsanwaltschaft ist“.
Die nun publik gewordenen „Fehler“ im Verfahren gegen Grasser und weitere Beschuldigte seien „ein weiteres trauriges Beispiel dafür, dass Rechtsstaatlichkeit auch in Österreich gefährdet ist“, bilanziert Enzinger in der Aussendung. Und fordert ein „konsequentes Vorgehen“ zu deren Schutz ein.
Auf einen Blick
Die Rechtsanwaltskammer Wien (RAK) ist die Standesvertretung der in Wien niedergelassenen Rechtsanwälte. Aufgabe der RAK Wien ist neben der Vertretung der Interessen der mehr als 4500 Mitglieder die Begutachtung von Gesetzen, die Erstellung von Gutachten sowie die Überwachung der Einhaltung der Berufspflichten (Disziplinarrecht).
(hell)