Styria Ethics - Green Pressure

„Die Demokratie ist in einer Krise herausgefordert”

Nach der Coronakrise gilt es, die Klimakrise zu bewältigen
Nach der Coronakrise gilt es, die Klimakrise zu bewältigenMarkus Spiske/Unsplash
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In der Pandemie hat der Staat bewiesen, dass er entschieden handeln kann. Politologe Patrick Scherhaufer warnt davor, in der Klimakrise auf ähnlich drastische Maßnahmen zu setzen.

Im Jahr 2035 wird die Coronakrise hoffentlich Geschichte sein. Von der Klimakrise wird man das wahrscheinlich nicht behaupten können. Hier setzt ein Projekt der Universität für Bodenkultur (Boku) in Wien an und beschäftigt sich mit der Frage, wie man dieser Krise längerfristig gegensteuern kann.

Seit vergangenem Herbst haben sich junge „Change Maker“ (s. Lexikon) getroffen, um anschauliche Zukunftsgeschichten – die „Tales of Tomorrow“ – zu entwickeln und in eine Vision für ein klimabewusstes Österreich zu übersetzen. „Der Prozess wird zwar von der Wissenschaft unterstützt, letztendlich basiert die Vision aber ausschließlich auf den Ideen der jungen Politikergeneration“, sagt Patrick Scherhaufer, Umweltpolitologe an der Boku, der „Tales of Tomorrow“ mitinitiiert hat.

Krisen wie Krisen behandeln

Den Boden für eine nachhaltige Zukunft zu bereiten braucht Zeit, in der Coronakrise musste es dagegen schnell gehen. Viele hat überrascht, dass in kurzer Zeit auch einschneidende Maßnahmen und Grundrechtseingriffe umsetzbar waren. Lehrt uns Corona, dass wir auch in der Klimakrise demokratische Prinzipien opfern sollten, um zu schnellen Lösungen zu kommen?

Die Sozialwissenschaften stehen vor einer neuen Herausforderung, meint Patrick Scherhaufer. Bis jetzt seien sie davon ausgegangen, dass Maßnahmen, wie sie in der Coronapandemie in Österreich und einer Vielzahl europäischer Länder zum Tragen gekommen sind, in einer Demokratie nicht umsetzbar seien, weil sie kaum auf Akzeptanz vonseiten der Bevölkerung stoßen würden. „Aus demokratiepolitischer Sicht passieren jetzt Dinge, die für unsere demokratische Kultur nicht sehr förderlich sind“, sagt der Politikwissenschaftler und warnt davor, der Klimakrise mit ähnlichen Mitteln zu begegnen.

Mit dieser Meinung ist Scherhaufer nicht allein: Rechtswissenschaftler Daniel Ennöckl, Leiter der Forschungsstelle Umweltrecht an der Uni Wien, sagt, dass in der Klimakrise ganz andere Maßnahmen nötig seien. Statt Ausgangsbeschränkungen brauche es da eine Besteuerung von CO2-Emissionen oder den Beschluss besonderer Genehmigungskriterien, die garantieren, dass künftig nur klimaneutrale Projekte bewilligt werden. Die beiden Situationen seien kaum vergleichbar, meint Ennöckl – auch wenn die nötigen Umweltmaßnahmen ebenfalls gewichtige Eingriffe darstellen, um eine existenzielle Krise abzuwenden. „Einen Wandel der derzeitigen Industriegesellschaft zu einer kohlenstoffarmen Gesellschaft, den halten der Rechtsstaat und die Demokratie aus. Untätigkeit und die Augen vor dem Klimawandel verschließen, das wird die Demokratie schwer überstehen.“

Langfristige Lösungen gesucht

Was die beiden Krisen unterscheidet: Der Klimawandel hat kein fixes Ablaufdatum – eine „Sunset Clause“ – wie die Corona-Maßnahmen, es brauche langfristige Lösungen, meint Ennöckl. Das kann zu Problemen bezüglich der Akzeptanz durch die Bevölkerung führen. In der Coronakrise war zu beobachten, dass Einschnitte in die Freiheiten der Bevölkerung nur solange funktionieren, wie die Menschen die Maßnahmen als sinnvoll und verhältnismäßig erachten. Mit der Zeit sinkt die Zustimmung. Laut einer Market-Analyse befanden Ende April nur noch 79 Prozent der befragten Österreicherinnen und Österreicher die Maßnahmen für gerechtfertigt − Mitte März waren das 92 Prozent −, während 21 Prozent diese als übertrieben einstuften.

Scherhaufer, der zu partizipatorischer Demokratie forscht, sieht deshalb mehr Bürgerbeteiligung als weitaus sinnvollere Möglichkeit, um mit der Krise umzugehen. „Die partizipatorische Demokratietheorie versteht Demokratie viel stärker als einen Prozess des Zusammenlebens und des Zusammenarbeitens.“ Beteiligung könne laut Scherhaufer auch bei gesellschaftlich strittigen Themen hilfreiche Ergebnisse liefern.
Diesen Ansatz verfolgt er schließlich auch mit „Tales of Tomorrow“. Erste Projektergebnisse würden bereits zeigen, dass die junge Politikgeneration sich mit viel Engagement für eine klimafitte Zukunft einsetzt, meint Scherhaufer. „Es geht auch darum, kooperative Verantwortung, ein Zusammenarbeiten, zu stärken. Wir können nicht der Politik die gesamte Verantwortung für Entscheidungen übertragen.“

Lexikon

Change Maker sind Personen, die aktiv versuchen, positive soziale Veränderungen zu bewirken. Der Begriff wurde ab 1980 vor allem von der weltweiten Organisation Ashoka (Sanskrit für „ohne Sorge“) und deren Gründer Bill Drayton geprägt. Ashoka ist eine amerikanische Non-Profit-Organisation zur Förderung von sozialem Unternehmertum und (nach Ansicht der Organisation) innovativer Ideen, die das Potenzial haben, gesellschaftliche Probleme zu lösen.

Dieser Text wurde von einer Studentin der FH Joanneum (Studiengang Journalismus und PR) gestaltet und ist Teil der Styria-Ethics-Initiative „Green Pressure. Die Welt unter Druck“.

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