Junge Forschung

Die Ausbreitung des Shiva-Kults

Im Bereich der Sanskrit-Kultur gibt es noch viele offene Fragen. Mirnig: „Das ist, als wenn Teile der Odyssee oder der Bibel noch nie bearbeitet worden wären.“
Im Bereich der Sanskrit-Kultur gibt es noch viele offene Fragen. Mirnig: „Das ist, als wenn Teile der Odyssee oder der Bibel noch nie bearbeitet worden wären.“ Clemens Fabry
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Die Indologin Nina Mirnig entziffert alte Sanskrit-Texte aus dem Kathmandu-Tal, um das politische, religiöse und kulturelle Leben Nepals im frühen Mittelalter zu rekonstruieren.

Reisen bildet, sagt man. Im Fall von Nina Mirnig stellte sich ein Ferienaufenthalt in ihrer Kindheit auf der indonesischen Insel Java im Rückblick sogar als wegweisend heraus. Erstmals kam sie hier mit hinduistischem Tempeltanz und – in Form der traditionellen Wayang-Kulit-Schattenspiele – mit einem der großen indischen Epen in Berührung. Mirnig ist Indologin und erforscht am Institut für Kultur- und Geistesgeschichte Asiens der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) die Ursprünge und Entwicklungen der frühen tantrischen Traditionen und des damit zusammenhängenden hinduistischen Shivaismus, der sich um die Verehrung des Gottes Shiva dreht.

Zuvor wollte sie allerdings Tänzerin werden und absolvierte die Ballettschule der Wiener Staatsoper. Als sie während eines Engagements in einer Modern-Dance-Kompanie verletzungsbedingt in England pausierte, hörte sie vom Orientalistik-Studienprogramm der Universität Oxford. „Dort konnte man die Sprachen der alten hinduistischen und buddhistischen Literatur, Sanskrit und Pali, erlernen“, erzählt die 38-Jährige. „Diese Texte mit den Mythen und Weltvorstellungen von Kulturen, die mich schon so früh fasziniert haben, in der Originalsprache lesen zu können, schien mir ungeheuer spannend.“

Philologische Puzzlearbeit

Bei der Verbreitung der Sanskrit-Kultur vom indischen Subkontinent über Süd- und Südostasien im ersten Jahrtausend n. Chr. spielte der Tantrismus eine wichtige Rolle. Er ist auch Ursprung vieler Ritualtechniken; die kunstvolle Herstellung von Mandalas wurzelt zum Beispiel darin. Mirnig dissertierte in Oxford zu tantrischen Totenriten und Ahnenverehrung und forschte anschließend in Groningen und Leiden in den Niederlanden. 2014 kehrte sie in ihre Heimatstadt Wien zurück und wurde wissenschaftliche Mitarbeiterin an der ÖAW. Seit dem Vorjahr leitet sie ein Projekt zur religiösen, kulturellen und politischen Landschaft Nepals im frühen Mittelalter. Unterstützt wird es durch das Elise-Richter-Programm vom Wissenschaftsfonds FWF.

Nepal hatte Mirnig bereits im ersten Studienjahr bei einer Freiwilligenarbeit kennengelernt. „Dieses Land besitzt eine besonders lebendige Mischung aus Hinduismus, Buddhismus, Tantrismus und Newari-Kultur, die sich in wunderschönen Skulpturen, Tempeln, aber auch Festen und Prozessionen widerspiegelt“, unterstreicht sie.
Der Ort ihrer aktuellen Feldforschung, das Kathmandu-Tal, war schon im Mittelalter von den Handelsrouten zwischen Indien, Tibet und China geprägt. „Das war eine kulturelle Blütezeit.“ Deren schriftliche Zeugnisse sind heute nicht nur Unesco-Weltkulturerbe, sondern für die Bevölkerung immer noch bedeutsam. „Die Geschichten und Gottheiten aus den alten Texten formen einen wichtigen Teil lokaler Identitäten, auch wenn die Menschen selbst oft kein Sanskrit mehr lesen.“

Königliche Inschrift am Straßenrand

Mirnig entziffert alte Palmblatt-Manuskripte und Steininschriften aus dem 5. bis 8. Jahrhundert n. Chr., übersetzt sie aus dem Sanskrit und analysiert sie. „Im Projektzeitraum wird das Material gemeinsam mit Partnern in Oxford, Durham und Kathmandu systematisch dokumentiert.“ Aufgrund der Urbanisierung, aber auch des Wiederaufbaus nach dem großen Erdbeben von 2015 sei es aber oft schwer, dieses aufzuspüren. Manches befinde sich mitten im Stadtgebiet, anderes an alten Tempelstätten. „Es ist durchaus interessant zu sehen, welche Inschriften noch in Erinnerung und welche vergessen sind.“ Eine königliche Inschrift aus dem siebten Jahrhundert etwa hätten die Forscher am Straßenrand als Radbefestigungspfosten gefunden.

„Es sind die ältesten vorhandenen schriftlichen Quellen“, sagt Mirnig. „Sie erzählen von Königen und ihren Strategien, das Tal zu regieren, einflussreichen Priestern und Gurus, der Rolle religiöser Netzwerke zur Erhaltung politischer Macht, aber auch von den Verehrungspraktiken, die zur Ausbreitung des Shivaismus beitrugen.“

Zur Person

Nina Mirnig (38) studierte Orientalistik/Sanskrit an der Uni Oxford (GB) und promovierte dort 2010. Sie war Postdoc an der Uni Groningen und am International Institute for Asian Studies in Leiden (beide NL) sowie in Cambridge (GB). Seit 2014 forscht sie am ÖAW-Institut für Kultur- und Geistesgeschichte Asiens; aktuell zur politischen und religiösen Landschaft des frühmittelalterlichen Nepals.

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