Johnson will EU-Ausländer, die während der Coronakrise das Land verlassen haben, zur Rückkehr bewegen.
Wien/London. Boris Johnson ist immer für eine Überraschung gut: Der britische Premierminister hat seine Pressekonferenz in der Downing Street zuletzt dazu genützt, EU-Bürger zur Rückkehr nach Großbritannien aufzufordern – ganz entgegen seiner üblichen Kritik, es seien zu viele ausländische Arbeitskräfte im Land. Viele EU-Ausländer waren während der Coronakrise in ihre Heimatländer zurückgekehrt. „Kommen Sie zurück nach Großbritannien. Sie müssen zwar in Quarantäne, und ich weiß, das ist eine Zumutung. Aber wir wollen Sie zurück“, so Johnson wörtlich.
Für Verwirrung sorgte die Aufforderung unter anwesenden Journalisten vor allem deshalb, weil der Premier bisher stets kritisiert hatte, dass zu viele Bürger aus dem EU-Ausland im Vereinigten Königreich beschäftigt seien. Während der Wahlkampagne im Dezember hatte Johnson gar einen Vorschlag unterbreitet, der darauf abzielte, die Anzahl an gering qualifizierten Arbeitskräften drastisch zu reduzieren. Schon vor dem Referendum zum EU-Austritt im Jahr 2016 war das Hauptargument der Brexit-Befürworter, nach dem EU-Austritt weniger ausländische Arbeitskräfte ins Land zu lassen.
Erst Mitte Mai – dreieinhalb Monate nach dem vollzogenen EU-Austritt – hat das britische Unterhaus das Gesetz zur Beendigung der Freizügigkeit für europäische Arbeitskräfte verabschiedet. Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass ab Jänner 2021 Arbeitskräfte aus der EU sowie Island, Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz nicht mehr freien Zugang zum britischen Arbeitsmarkt haben.
Vorzug für Hochqualifizierte
Welche Kriterien jedoch ab dem 1. Jänner 2021 für die Zuwanderung europäischer Arbeitskräfte nach Großbritannien gelten sollen, wird in dem Gesetzesentwurf nicht präzisiert. Die Regierung hat bereits im Februar ein Punktesystem präsentiert, das Arbeitskräften mit besonderen Qualifikationen den Vorzug gibt. Innenministerin Priti Patel sagte, das neue Zuwanderungssystem werde „fairer“ sein und wesentlich zur Genesung der britischen Wirtschaft von den Folgen der Coronakrise beitragen. (red./ag.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2020)
