Diplomatie

Bolsonaro droht mit dem Austritt Brasiliens aus der WHO

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro
Brasiliens Präsident Jair Bolsonaroimago images/Agencia EFE
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"Entweder die WHO arbeitet ohne ideologische Voreingenommenheit oder wir gehen auch“, nimmt sich der Präsident ein Beispiel an seinem US-Kollegen Donald Trump.

Brasiliens rechtsextremer Präsident Jair Bolsonaro hat mit einem Austritt seines Landes aus der Weltgesundheitsorganisation gedroht. Er warf der WHO "ideologische Voreingenommenheit vor". Der Theologe Leonardo Boff (81) bezeichnete Bolsonaro angesichts der rasch steigenden Corona-Opferzahlen laut Medienberichten vom Samstag als "Völkermörder" und rief zu seinem Sturz auf.

Die Zahl der in Brasilien an der Lungenkrankheit Covid-19 gestorbenen Menschen überschritt unterdessen die Schwelle von 35.000.

Bolsonaro sagte am Freitag vor Journalisten, seine Regierung analysiere den WHO-Austritt der USA, den US-Präsident Donald Trump vor rund einer Woche verkündet hatte. "Entweder die WHO arbeitet ohne ideologische Voreingenommenheit oder wir gehen auch. Wir brauchen hier keine Außenstehenden, die ihre Meinung zur Gesundheitslage abgeben", verkündete Bolsonaro. Der rechtsradikale Präsident kritisierte die WHO unter anderem dafür, dass sie die klinischen Studien für das Malaria-Medikament Hydroxychloroquin zur Behandlung von Covid-19 ausgesetzt hatte. Bolsonaro hatte - wie Trump - die umstrittene Einnahme des Medikaments als Präventivmaßnahme wiederholt angepriesen.

Die WHO hatte die Versuche mit Hydroxychloroquin ausgesetzt, nachdem mehrere Studien Bedenken hinsichtlich seiner Verträglichkeit und Wirksamkeit aufgeworfen hatten. In einer neuen Studie der Universität Oxford hieß es am Freitag, dass Hydroxychloroquin "keine positive Wirkung" bei der Behandlung der Lungenkrankheit zeige.

Weltweit dritthöchste Zahl von Corona-Toten

Brasilien ist seit Donnerstag das Land mit der weltweit dritthöchsten Zahl von Corona-Toten nach den USA und Großbritannien. Mehr als 35.000 Menschen starben nach offiziellen Angaben bisher in dem südamerikanischen Land an Covid-19. Landesweit wurden bisher mehr als 645.000 Infektionen registriert, Experten gehen jedoch aufgrund der geringen Zahl von Tests von einer hohen Dunkelziffer aus.

Bolsonaro und Trump pflegen ein enges Verhältnis. Sie ähneln sich in ihrer harschen und aggressiven Rhetorik sowie in ihren rechtspopulistischen Ansichten, weshalb Bolsonaro oft auch als "Tropen-Trump" bezeichnet wird. Bolsonaro steht wegen seines Umgangs mit der Corona-Pandemie massiv in der Kritik. Er bezeichnete Covid-19 in der Vergangenheit als "kleine Grippe" und lehnt die von den Bundesstaaten angeordneten Beschränkungen ab, weil die Wirtschaft darunter leide.

Trump hatte am Freitag vergangener Woche den Bruch seines Landes mit der WHO verkündet. Im Streit um den Umgang mit der Corona-Pandemie hatte er bereits Mitte April die US-Zahlungen an die WHO eingestellt. Trump wirft der UN-Unterorganisation "Missmanagement" sowie Einseitigkeit zugunsten Chinas vor, das als Herkunftsland des neuartigen Coronavirus gilt.

Die 1948 gegründete WHO ist abhängig von den Beiträgen ihrer mehr als 190 Mitgliedsländer sowie von Spenden von Regierungen und nicht-staatlichen Akteuren. Die USA waren bisher der größte Geldgeber.

Weltweit starben bisher fast 400.000 Menschen an der durch das Coronavirus ausgelösten Lungenkrankheit Covid-19, rund 6,7 Millionen Infektionsfälle wurden offiziell registriert.

Mit mehr als 1,2 Millionen Infizierten und mehr als 60.000 Todesfällen verlagerte sich das Epizentrum der Pandemie in den vergangenen Wochen nach Lateinamerika. Auch in Mexiko, Peru und Ecuador stiegen die Infektionszahlen zuletzt weiter in die Höhe. In Chile stieg die Zahl der Todesfälle in der vergangenen Woche um mehr als die Hälfte an.

Wachsende Kritik an der Polizeigewalt

Vor dem Hintergrund wachsender Kritik an der Polizeigewalt in Brasilien hat das oberste Gericht des Landes unterdessen Razzien in den Armenvierteln von Rio de Janeiro während der Corona-Pandemie untersagt. In seinem Urteil vom Freitag erklärte der Richter Edson Fachin, Razzien dürften dort für die Dauer der Pandemie nur in "absoluten Ausnahmefällen" und nur bei einer entsprechenden Genehmigung der Staatsanwaltschaft stattfinden.

Am Einsatz unverhältnismäßiger Polizeigewalt übte der Richter deutliche Kritik. Bereits vor der Pandemie seien die Verfahren beim Einsatz von Polizeigewalt "bedenklich" gewesen, sagte Fachin. "Die Pandemie, welche die meisten Menschen zwingt, zu Hause zu bleiben, stellt die Zweckmäßigkeit dieser Verfahren infrage und erhöht das Risiko (für die Favela-Bewohner) zusätzlich."

Der Richter bezog sich ausdrücklich auf den Fall des 14-jährigen Joao Pedro Mattos Pinto, der am 18. Mai während eines Polizeieinsatzes in der Favela Salgueiro von Polizisten erschossen worden war. Nach Angaben der Familie des Burschen feuerten Polizisten in dem Wohnhaus Schüsse ab und warfen Handgranaten, obwohl sich nur Kinder darin befanden. "Nichts kann rechtfertigen, dass ein 14-jähriges Kind mehr als 70 Mal angeschossen wird", sagte Fachin.

Trotz der Corona-Einschränkungen im Bundesstaat Rio de Janeiro hatte es nach der Tötung des Buben Proteste gegeben. Brasiliens Polizei wird immer wieder unverhältnismäßige Gewaltanwendung vorgeworfen. Offiziellen Angaben zufolge töteten Polizisten in Rio de Janeiro im vergangenen Jahr mehr als 1.800 Menschen - ein Anstieg von 18 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Brasiliens rechtsradikaler Präsident Jair Bolsonaro hat das Vorgehen der Polizei immer wieder verteidigt.

Theologe nennt Bolsonaro "Völkermörder"

Der brasilianische Theologe Leonardo Boff (81) nannte Bolsonaro auf seinem Twitter-Account einen "Völkermörder" und forderte seinen Sturz. Boff zog zudem eine Parallele zu Adolf Hitler. "Wir haben derart viele Verbrechen gegen seine Pflichten gesehen, so viele Verstöße gegen die Sorgfaltspflicht gegenüber dem Leben, dass der Präsident zum Rücktritt gezwungen werden sollte", schrieb Boff. "Er ist ein Völkermörder, dem das menschliche Leid egal ist. Brasilien hat diese Strafe nicht verdient. Und was machen die verantwortlichen Autoritäten? Sie müssen agieren!"

Boff ist einer der renommiertesten Befreiungstheologen. Er trat 1959 in den Franziskanerorden ein und promovierte 1970 in Philosophie und Theologie. 1984 sanktionierte ihn die römische Glaubenskongregation für seine Verbindung zwischen Befreiungstheologie und Marxismus. 1992 verließ Boff das Priestertum. Seitdem ist sein Denken und Engagement stark auf ökologische Themen gerichtet.

(APA/AFP/Reuters)

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