Angst, Stress, Depressionen – bei jedem kann sich die Belastung durch die Krise anders äußern.
Psychische Pandemie

Kommt die nächste Pandemie?

Ärzte und Therapeuten warnen vor einer psychischen Pandemie nach der aktuellen. Der Stress der Bevölkerung ist enorm, doch äußern dürfte er sich für viele erst im Herbst.

Es war ihr erster Aufenthalt in der Psychiatrie – und Auslöser war die Coronakrise. Die alte Frau, die in der Allgemeinen Psychiatrischen Abteilung in der Rudolfstiftung, einer Akutstation, Aufnahme fand, hatte eine schwere depressive Episode. Der Grund: Sie dachte, sie dürfe die nächsten ein bis zwei Jahre die Wohnung nicht verlassen. Die Frau, die schon davor offenbar unter Depressionen litt, war schlecht informiert gewesen, dennoch verursachte der Lockdown so viel zusätzlichen Stress, dass sie ins Krankenhaus musste. Auch eine andere Patientin hatte das erste Mal Kontakt mit der Psychiatrie. Sie hatte psychotische Symptome, die ihr Freund bemerkte. Später stellte sich heraus, dass sie schon früher solche Episoden hatte, doch durch den erhöhten Stress in der Krise haben ihre Kompensationstmechanismen nicht mehr funktioniert. „Das erfreuliche ist, die Symptome waren gut behandelbar. Aber ohne das Virus hätten die Mechanismen vielleicht wie in den letzten Jahren gut funktioniert“, sagt Psychiaterin Ursula Goedl-Fleischhacker, Primaria an der Abteilung. Nachdem in der ersten Phase des Lockdowns kaum Patienten kamen („was erstaunlich war“), nehmen jetzt die Aufnahmen wieder zu. Auch Patienten, die davor noch nie Kontakt mit der Psychiatrie hatten, kämen jetzt, ausgelöst durch Corona, zu ihr.

Ist sie jetzt also schon da, die „psychische Pandemie“, die der Chefarzt des Psychosozialen Dienstes (PSD) der Stadt Wien, Georg Psota, vor einigen Wochen vorausgesagt hatte? Man wisse, dass nach einer viralen Pandemie eine psychische folge, so seine Aussage.

Auch der Sommer entscheidet. „Psychische Pandemien haben eine längere Latenzzeit. Zum jetzigen Zeitpunkt würde ich das noch nicht bestätigen“, sagt Psota zur „Presse am Sonntag“. Er rechnet damit, dass frühestens im Herbst mehr Menschen die Auswirkungen der Krise psychisch spüren werden. Wie stark diese Krisen sein werden, hänge auch damit zusammen, ob der Sommer schön werde und wie sich die Arbeitslosenzahlen entwickeln. „Denn je mehr Arbeitslosigkeit desto mehr Depressionen gibt es.“

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