Corona-Lockdown

Coronavirus-Studien: Maßnahmen verhinderten viele Tote

Auch Schloss Versaille in der Nähe von Paris öffnete erst am ersten Juni-Wochenende wieder seine Pforten für Besucher.
Auch Schloss Versaille in der Nähe von Paris öffnete erst am ersten Juni-Wochenende wieder seine Pforten für Besucher.APA/AFP/ANNE-CHRISTINE POUJOULAT
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Allein in elf europäischen Ländern wurden laut Forschern bis Anfang Mai durch Lockdown und Grenzschließungen etwa 3,1 Millionen Todesfälle vermieden.

Die Maßnahmen gegen die Coronavirus-Epidemie könnten nach Ansicht von Forschern in elf europäischen Ländern inklusive Österreich bis Anfang Mai etwa 3,1 Millionen Todesfälle verhindert haben. Der Lockdown habe demnach eine Kontrolle des Pandemie-Verlaufs ermöglicht, berichten Wissenschafter vom Imperial College London (Großbritannien) nach der Analyse der Todesfallzahlen im Fachblatt "Nature".

In einer zweiten Studie berichtet ein anderes Forscherteam, dass die Maßnahmen in den sechs von ihnen betrachteten Ländern bis zum 6. April rund 530 Millionen Infektionen verhindert hätten. Die Wissenschafter hatten den Infektionsverlauf bis zu diesem Stichtag in China, Südkorea, Italien, Iran, Frankreich und den USA analysiert und stellen ihre Ergebnisse ebenfalls in "Nature" vor. "Ich denke, kein anderes menschliches Unterfangen hat jemals in so kurzer Zeit so viele Leben gerettet", sagte Studienleiter Solomon Hsiang von der University of California in Berkeley (USA).

Noch „enorme Schwankunsbreite“

Experten raten zu einer vorsichtigen Interpretation der Zahlen. "Das ist ein erster Aufschlag, der wichtig auch in der politischen Debatte um künftige Maßnahmen und deren Lockerungen ist", sagte der Statistiker Gerd Antes von der Universität Freiburg in einer ersten Stellungnahme zu der Studie. "Schaut man sich die Zahlen an, sieht man, dass sie eine enorme Schwankungsbreite haben - das verdeutlicht die Unsicherheiten, die mit solchen Analysen einhergehen."

Grundsätzlich sei es vernünftig, zur Analyse des Pandemie-Verlaufs auf die Todeszahlen zu schauen, da die Infektionsraten zu sehr davon abhängen, wie viel in einem Land getestet wird. Aber die Zahlen der Todesfälle brächten eigene Schwierigkeiten mit sich, zum Beispiel, weil nicht immer klar ist, ob jemand an oder mit Covid-19 gestorben ist.

Die Forscher um Samir Bhatt und Seth Flaxman vom Imperial College hatten für ihr Modell die erfassten Covid-19-Todeszahlen der EU-Gesundheitsbehörde ECDC zugrunde gelegt und den Verlauf der Infektionszahlen und der Reproduktionsrate - also die mittlere Anzahl der Personen, die ein Infizierter ansteckt - rückblickend ermittelt. Sie verglichen den Einfluss der Lockdown-Maßnahmen bis zum 4. Mai mit einem Szenario, in dem die Reproduktionszahl von Beginn der Pandemie an unverändert blieb. So ermittelten sie, wie viele Todesfälle es ohne Maßnahmen wahrscheinlich gegeben hätte.

Der Ansatz habe einige Schwächen, wie die Studienautoren selbst einräumen. So könnten etwa Todesfälle zu Beginn der Pandemie übersehen worden sein. Zudem gebe es bei der Meldung von Todesfällen Unterschiede zwischen Ländern und im Verlauf der Zeit. Schließlich könne es zu Verzögerungen bei der Meldung von Todesfällen kommen. Die Forscher versuchten dies so gut wie möglich in ihrer Auswertung zu berücksichtigen, etwa indem sie Daten mehrerer Ländern zusammen analysierten.

„Deutlich mehr Infektionen als vermutet“

Zu Beginn der Pandemie habe die Reproduktionszahl im Schnitt aller untersuchten elf europäischen Länder bei 3,8 gelegen. Zehn Infizierte steckten also im Mittel 38 weitere Menschen an. In allen Ländern sei die Reproduktionszahl infolge der ergriffenen Maßnahmen auf unter 1 gesunken. Das Ergebnis decke sich mit Untersuchungen in einzelnen Ländern. "Unsere Analysen legen auch nahe, dass es in diesen Ländern deutlich mehr Infektionen gab als bisher vermutet", so Bhatt in einem Statement. Insgesamt gehen die Forscher von zwölf bis 15 Millionen Infizierten in den elf Ländern aus.

Für Österreich rechnen die Wissenschafter damit, dass um den 4. Mai rund 0,8 Prozent der Gesamtbevölkerung mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert waren, was laut den Autoren relativ gut mit den Schätzungen aus kleineren Stichprobenuntersuchungen in Österreich zusammenpasse. Zum Vergleich: In der ersten Stichprobenuntersuchung Anfang April ergab sich ein prozentueller Bevölkerungsanteil zwischen 0,12 und 0,76, an zu dem Zeitpunkt wahrscheinlich mit SARS-CoV-2 Infizierten. Die zweite derartige Studie Anfang Mai identifizierte dann nur noch einen einzigen Fall, was hochgerechnet einer Dunkelziffer von höchstens 0,15 Prozent der Gesamtbevölkerung entsprach.

Für Deutschland gehen Bhatt und Flaxman von einer mit Österreich vergleichbar niedrigen Quote von 0,85 Prozent aus. Darunter liegt nur Norwegen (0,46 Prozent). Anders das Bild in Belgien (rund acht Prozent), Spanien, Großbritannien und Italien mit etwas über bzw. unter fünf Prozent, wie die britischen Wissenschafter in ihrer Arbeit schreiben. Für Schweden, das mit einer deutlich weniger restriktiven Eindämmungspolitik für Aufsehen sorgte, errechneten sie eine wahrscheinliche Verbreitung in der Bevölkerung von 3,7 Prozent.

Im Schnitt sei die Reproduktionsrate aufgrund der verhängten Lockdown-Maßnahmen laut den Forschern um 82 Prozent zurückgegangen. Österreich liegt hier exakt im Durchschnitt der untersuchten Länder. Die Schwankungsbreite der Angaben in der Studie sind allerdings teils beträchtlich.

(APA/dpa)

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