Formel-1-Weltmeisterschaft

Am Anfang waren alle ziemlich alt

Italienische Rennwagen waren gleich einmal parat, als es nach dem Krieg losging: Ferrari, Maserati, vor allem aber Alfa Romeo.
Italienische Rennwagen waren gleich einmal parat, als es nach dem Krieg losging: Ferrari, Maserati, vor allem aber Alfa Romeo.Italienische Rennwagen waren gleich einmal parat, als es nach dem Krieg losging: Ferrari, Maserati, vor allem aber Alfa Romeo. (c) Archive Paolo D´Alessio
  • Drucken

70-Jahr-Jubiläum ohne großes Getöse. Die erste Formel-1-Weltmeisterschaft musste mit Vorkriegstypen auskommen, Menschen wie Autos.

Der erste Formel-1-Weltmeister der Geschichte, im Jahr 1950, wird uns als „Renaissancemensch“ geschildert, ist das nicht wunderbar! In den siebzig Jahren danach haben wir ja genügend eindrucksvolle Personen als Champions erlebt, aber in keinem hätte man wieder ein Ideal der klassischen Tugenden vermutet.

Giuseppe Farina also, genannt Nino, war Doktor der Politikwissenschaften, liebte die Künste und jede Art von Leibesübung. Er hatte wohl eine gewisse herrische Art, die sich auch in seinem Fahrstil ausdrückte. Weit ausgestreckte Arme, zurückgeworfener Kopf mit vorgerecktem Kinn. Mussolini hat das vor dem Krieg ja noch selbst erlebt, und es ist zu befürchten: Es hat ihm gefallen.

Die Schaffung einer Formel-1-WM fiel ja nicht zufällig in jene Phase der Nachkriegszeit, als sich aus dem schieren Überleben erste Fantasien für ein bunteres Bild ergaben. Die Länder wollten wieder etwas Vernünftiges miteinander anfangen, bloß Deutschland hatte noch ein bissl Pause.

1950 also. Erstmals wurde eine Weltmeisterschaft ausgerufen. Es hatte natürlich auch schon vor dem Krieg Grand-Prix-Rennen gegeben, aber man hatte sie nie zu einer WM gebündelt, und der Begriff „Formel 1“ wurde überhaupt erst 1947 geschaffen. Supertypen wie Nuvolari oder Rosemeyer waren Weltstars gewesen, aber ohne Punktekonto, ohne Statistik.

»Giuseppe Farina war 44, als er die erste Formel-1-WM der Geschichte gewann.«

Als es richtig losging, musste man nehmen, was verfügbar war, und das waren fast ausschließlich Vorkriegstypen – Menschen und Autos. Das Durchschnittsalter der Formel-1-Debütanten von 1950 lag jenseits der 40, und die weitaus überlegenen Autos waren jene, die von gewieften Italienern in den kritischen Jahren unter Bergen von Stroh in konspirativen Scheunen verborgen wurden. Als alle durchgeputzt waren, standen wieder Grand-Prix-Autos von Alfa Romeo und Maserati parat, nun hießen sie eben Formel-1-Wagen.

Auch die aktuellste Wortmeldung kam von einem Herrn in seinen Fünfzigern. Enzo Ferrari hatte seine Scuderia aus der Vorkriegsverbindung mit Alfa gelöst und ließ nun in eigenem Namen Autos bauen, vielmehr Motoren, denn Motoren waren bei Ferrari immer wichtiger als das Kastl, in dem sie drinsteckten.

Im ersten Jahr gab es nur italienische und französische Teams. Die Deutschen waren noch verbannt, ihre besten Rennwagen auf dem Weg in die Sowjetunion, und die Engländer waren voll damit beschäftigt, Dutzende ihrer aufgelassenen Kriegsflugplätze auf sinnvolle Weise zu nutzen. Dort entstand eine fantastische Szene von Clubrennen aller Kategorien, aus der die späteren Weltstars hervorgingen . . . aber es brauchte eben noch ein paar Jahre.

1950 konnten die Firmen zwischen 1,5-Liter-mit-Kompressor oder 4,5-l-Saugern wählen, aber alle vertrauten der Kompressorvariante, es gab ja nichts anderes im Fundus. Misstrauisch war höchstens Enzo Ferrari, er liebte Hubraum und ließ schon an einer großen Lösung arbeiten, aber im ersten Jahr hatte er doch den kleinen Kompressormotor. Da war Alfa Romeo unschlagbar. Der Wagen hieß (schon seit 1937) Typ 158, wurde aber gern Alfetta genannt, was den grundsätzlichen Alfa-Liebhaber verwirren mag, denn die Firma bediente sich in späteren Jahrzehnten allzu oft des Namens Alfetta, für allesamt ehrenwerte Fahrzeuge, aber die Magie hat sich wohl zu Tode gezaubert.

Alfa, Maserati, Ferrari, Talbot und Gordini – mehr gab's nicht im ersten Jahr. Die drei Fa von Alfa (Farina, Fagioli, Fangio) gewannen alles mit Butz und Stängel.

Die interessanteste Figur war ein Debütant mit 39, trotzdem ohne Vorkriegsgeschichte, also völlig unbekannt in Europa. Unsereins allerdings weiß seit „Evita“ Bescheid: Argentiniens Diktator Perón hatte die Haare voll Brillantine und neigte zum Auszucken, seine schöne blasse blonde Frau war die Freundin der Hemdlosen, hatte es aber leider auf der Lunge und sang daher „Don’t cry for me, Argentina“. Mittendrin dürfen wir uns Fangio vorstellen.

Vor diesem Background war es möglich, in Jahren großer Not ein argentinisches Rennteam auszustatten und nach Europa zu schicken. Fangio, aus damaliger Sicht ein Außerirdischer, wurde rasch als reifes Talent erkannt, durfte Alfa Romeo fahren und verspielte erst beim letzten Rennen in Monza die Welmeisterschaft – Defekt. So gewann der erwähnte Giuseppe Farina, der Renaissancemensch mit dem tapferen Kinn. Der keineswegs jugendliche Juan Manuel Fangio hatte allerdings noch unglaubliche fünf WM-Titel vor sich.

»Bis 400 PS und 300 km/h, so viel Drama steckte in diesen wilden Maschinen.«

Angesichts der Fotos mag man zu einer falschen Einschätzung von Power und Fähigkeiten kommen. Die Klamotten suggerieren unbesorgte Lebensart, die Helme waren aus mehrfach verklebter Pappe, die Brillen aus Plexiglas. Es gab natürlich keine Gurte, und ein Maximum an Sicherheit war mit hundert Strohballen erreicht, auch die oft nur entlang der Startgeraden.

In groteskem Kontrast dazu standen Gewalt und Speed der Autos. Mit Kompresssor ließen sich aus den 1,5-Liter-Motoren 250 PS abrufen, bei der Alfetta sogar wesentlich mehr, letztlich mit Doppelkompressor sogar 400 PS, das taugte für 300 km/h. Man kann sich heute nicht mehr ausmalen, welches Drama in einem solchen Drehmomentverlauf steckte. Dazu die brachiale Schaltung, die lächerlichen Bremsen und moribunden Reifen, – alles war so mühsam, so schwergängig, und so ungenau, aus heutiger Sicht. Man hockte wie der Affe am Schleifstein: Mit gespreizten Beinen und gebogenen Knien, sehr nahe an Pedalen und Steuerrad. Aus der Spreizstellung der Beine, die sich aus der Konstruktion der Vorkriegs-Monoposti ergab, erklärt sich die Pedalstellung: Kupplung weit links, Gas in der Mitte, Bremse rechts. Angesichts der Beugungen der Gliedmaßen und der Froschstellung sind die Füße automatisch auswärts gestellt, also ist es logisch, mit dem Fußballen zu bremsen (rechts) und mit dem Absatz aufs Gas (links davon) zu treten, genau seitenverkehrt zur späteren Spitze-Hacke-Stellung.

Heute kennt man zwanzig Arten von Ferrari-Rot, dies war der erste Anlauf mit Rosso Corsa.
Heute kennt man zwanzig Arten von Ferrari-Rot, dies war der erste Anlauf mit Rosso Corsa.(c) Archive Paolo D´Alessio

Dazu kam an manchen Stellen das Gefühl, man würde aus dem Auto fliegen, da hob es einen fünf-, sechsmal vom Sitz ab, man klammerte sich am Steuerrad fest wie an einem Pferd, um wieder den Sattel zu erreichen.

Die erste Weltmeisterschaft war geschlagen, und es konnte wohl nur noch aufwärts gehen, zum Beispiel bis zum Tausendfachen der Fahrergagen, aber vorerst ging es ja wirklich nur um Ruhm und Ehre, und, ganz vorn: italienische Mechanik. Daran änderte sich auch 1951 nichts, aber zum schieren Vorausfahren kam nun auch ein wenig Showbusiness.

Enzo Ferrari war zwanzig Jahre lang in den Diensten von Alfa Romeo gestanden, hatte sich dann selbständig gemacht und den eigenen Namen plakatiert. Im ersten WM-Jahr, wie vorhin erwähnt, hatte er noch den Trend zum kleinen Kompressormotor mitgemacht, 1951 war er aber schon für die Hubraumoption und setzte den von Aurelio Lampredi entwickelten 4,5-l-Zwölfzylinder ein. Zur Saisonmitte kam es in Silverstone zum Showdown, als Ferrari den frisch importierten Argentinier José Froilán González ins Team nahm. González war von freundlichem Wesen und hatte ein passendes Mondgesicht (die Landsleute sagten allerdings Wasserkopf), in Europa pries man ihn lieber als „Stier der Pampa“ (bei den Geschichten dahinter fällt uns natürlich immer Heinz Prüller ein, liebe Grüße nach Innsbruck!).

»Enzo Ferrari und die Zärtlichkeit der ersten Liebe.«

Wie auch immer: González auf dem Ferrari 375 besiegte die bis dahin dominierenden Alfa Romeo, was ja grundsätzlich nicht so wahnsinnig aufregend gewesen wäre, wenn Enzo Ferrari nicht so eine wunderbare Schmiere für die Motorsporthistorie geschaffen hätte. Heute ist alles so sorgfältig aufgearbeitet, dass wir über das zweite Leben des Enzo Ferrari ganz gut Bescheid wissen. Er hatte zum Beispiel sehr schlechte Manieren (allein, was er bei Tisch in sein riesiges Schnäuztücherl spuckte) und war scheinheilig bis zum Gehtnichtmehr. Familie und Mitarbeiter hatten darunter mehr zu leiden als die Protokollführer seines Lebens, die mit Vergnügen den Spruch „Ich habe meine Mutter umgebracht“ aus jenem Jahr 1951 zitieren. Die Mutter, das war Alfa Romeo, und alles spricht dafür, dass er sich nichts sehnlicher gewünscht hatte, als Alfa endlich so richtig zu ärgern. Es passt auch wunderbar ins Bild, dass er an den Chefkonstrukteur der Besiegten telegrafierte: „Ich empfinde noch immer für unseren Alfa die Zärtlichkeit der ersten Liebe.“

Für die WM 1951 reichte es aber noch, dafür waren Fangio und Alfa zu stark. Die Ferrari-Jahre kamen erst 1952 und 1953, und im Jahr darauf war auch schon Mercedes zurück auf der Piste (und die Deutschen wurden Fußballweltmeister, plötzlich war alles ziemlich flott in Bewegung gekommen). Auch die Engländer kehrten zurück in neuer Stärke, die Weltmeisterschaft der Formel 1 war endgültig am Laufen.

Erste Formel-1-Weltmeisterschaft

1950. Sieben Rennen (Silverstone, Monaco, Indianapolis, Bremgarten/Zürich, Spa, Reims, Monza)

Teilnehmende Teams: Alfa Romeo, Ferrari, Maserati, Talbot, Gordini. Amerikanische Teams traten nur in Indianapolis an.

Motorformel: Wahl zwischen 1,5-Liter mit Kompressor oder Sauger bis 4,5 l.

Endstand der Fahrer-WM: 1. Farina (IT), 2. Fangio (ARG), 3. Fagioli (IT), alle Alfa Romeo

("Die Presse - Fahrstil", Print-Ausgabe,13.06.2020)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.