Missbrauch: Gewaltvorwürfe in weltlichen Heimen

(c) Clemens Fabry
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Körperliche und sexuelle Gewalt: Anzeigen bei Staatsanwaltschaft geplant. Man müsse damit rechnen, dass die Zahl der Fälle in den kommenden Monaten rasch ansteigt: "Es handelt sich ja nicht um Einzelfälle."

LINZ. Nach Gewaltvorwürfen gegen Schulbrüder in Oberösterreich und Wien – die Staatsanwaltschaft ermittelt – liegen nun erste Zahlen über Missbrauchsfälle in staatlichen Erziehungseinrichtungen vor. Rund 250 Betroffene haben sich in ganz Österreich bisher gemeldet, berichtet Christine Winkler-Kirchberger, Leiterin der Kinder- und Jugendanwaltschaft (Kija) Oberösterreich im Gespräch mit der „Presse“. Diese Zahl betreffe allerdings nur die Meldungen in Wien, Tirol, Vorarlberg und Oberösterreich, wo nach Bekanntwerden der Missbrauchsfälle in kirchlichen Institutionen auch zentrale Anlaufstellen für Opfer in weltlichen Institutionen in den Kinder- und Jugendanwaltschaften eingerichtet wurden.

In Oberösterreich, wo die Kija erst seit zwei Wochen als jüngste offizielle Sammelstelle der Missbrauchsfälle fungiert, haben sich bisher sieben Personen gemeldet. Sie betreffen vor allem die 1970er- und 1980er-Jahre und die Landeseinrichtungen Linz-Wegscheid und Leonstein sowie das Heim Steyr-Gleink, wo neben kirchlichen auch Landeszöglinge untergebracht waren. „Berichtet wird von schwerer körperlicher, aber auch von sexueller Gewalt“, sagt Winkler-Kirchberger.

Man müsse damit rechnen, dass die Zahl der Fälle in den kommenden Monaten rasch ansteigt. „Es handelt sich ja nicht um Einzelfälle, bis in die späten 1980er-Jahre war strukturelle Gewalt in einigen Einrichtungen an der Tagesordnung. Bisher haben wir auch noch keine Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Da wird also noch einiges auf uns zukommen.“ Auch Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft werde es in einigen Fällen geben.

Einzelhaft in „Korrektionszelle“

Besonders schwere Vorwürfe betreffen die früheren Methoden im Heim Linz-Wegscheid: Dort soll es eine sogenannte „Korrektionszelle“ gegeben haben. Der vier mal vier Meter große Raum mit nur einer Oberlichte soll zur Isolationshaft für Jugendliche gedient haben: „Einer der Klienten berichtet, dass er in dieser Korrektionszelle ohne Kleidung eine Woche lang eingesperrt war“, schildert Winkler-Kirchberger. Außerdem soll es das Ritual des „In-der-Runde-Schlagens“ gegeben haben, bei dem sich Erzieher in einem Kreis aufstellten und auf einen Jugendlichen in ihrer Mitte eingetreten und -geboxt haben sollen.

Ein weiterer Betroffener sei auf dem ganzen Körper tätowiert: Geduldet von den Erziehern, sollen Rädelsführer unter den Heimbewohnern mit Tinte und einer Nadel regelmäßig Zeichen unter seine Haut geritzt haben.

„Wir befinden uns noch in der Erstaufnahmephase. Bis Oktober werden die eingehenden Meldungen gesammelt, wir nehmen Kontakt mit den Institutionen auf und versuchen, die Verantwortlichen ausfindig zu machen“, sagt Winkler-Kirchberger. Danach soll es Vorschläge zur Entschädigung geben: von finanzieller Wiedergutmachung über Psychotherapie bis hin zu einer Entschuldigung. Die Rechtslage, vor allem das Problem von Verjährungsfristen, sei noch zu prüfen: „Allerdings gibt es auch eine moralische Verpflichtung der Institutionen ihren ehemaligen Bewohnern gegenüber“, sagt Winkler-Kirchberger.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.07.2010)

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