EU-Austritt

Es wird keine längere Brexit-Übergangsphase geben

Demonstrant Steve Bray ist Befürworter eines Deals der Briten mit der EU - und offenbar auch ein Gegner der Regierungspolitik in der Coronakrise - hier fotografiert vor dem britischen Parlament in London.
Demonstrant Steve Bray ist Befürworter eines Deals der Briten mit der EU - und offenbar auch ein Gegner der Regierungspolitik in der Coronakrise - hier fotografiert vor dem britischen Parlament in London.APA/AFP/TOLGA AKMEN
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Großbritannien sei gegen eine Fristverlängerung, heißt es aus der EU-Kommission. Das EU-Parlament will Druck auf die Briten ausüben, sich an die Regeln zu halten.

Mit konkreten Brexit-Daten ist man in der Vergangenheit des Öfteren daneben gelegen. Am Freitag sag es ganz danach aus, dass es am 1. Jänner 2021 soweit sein könnte. Die Verlängerung der Brexit-Übergangsphase über das Jahresende hinaus ist nach Einschätzung der EU-Kommission vom Tisch. Großbritannien habe am Freitag in der Sitzung des zuständigen Gremiums sein Nein zu einer Fristverlängerung bekräftigt, sagte Vizepräsident Maroš Šefčovič. "Nach meiner Einschätzung ist das definitiv das Ende der Debatte."

Damit wächst der Druck, bis zum Jahresende ein Abkommen über die künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU zuwege zu bringen. Großbritannien war Ende Jänner aus der EU ausgetreten, bleibt aber in einer Übergangsphase noch im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion. Die EU war für eine Verlängerung der Frist, um mehr Zeit für Verhandlungen zu haben. Großbritannien wendet sich aber seit Monaten strikt dagegen. Gelingt in der Übergangsphase kein Abkommen, wird ein harter wirtschaftlicher Bruch mit Zöllen und anderen Handelshemmnissen erwartet.

Šefčovič sagte, er selbst habe zwar betont, dass die EU für eine Verlängerung offen bleibe. Aber der britische Unterhändler Michael Gove hätte in seiner Ablehnung nicht deutlicher sein können, fügte Šefčovič hinzu. Gove habe dies damit begründet, dass den britischen Bürgern dies als Versprechen im Wahlkampf gegeben worden sei. Er habe die Haltung der britischen Regierung sehr, sehr deutlich gemacht.

1. Jänner 2021

Gove erklärte auf Twitter, er habe im Gespräch mit Šefčovič "förmlich bestätigt", dass Großbritannien die Übergangsphase nicht verlängern werde. "Wir werden am 1. Jänner 2021 die Kontrolle zurückholen und unsere politische und ökonomische Unabhängigkeit wiedergewinnen", schrieb Gove.

In vier Verhandlungsrunden gab es aber keine wesentlichen Fortschritte. London weigert sich bisher, Sozial-, Umwelt- und Verbraucherstandards der EU im Gegenzug für einen weitgehend ungehinderten Zugang zum europäischen Binnenmarkt zu akzeptieren. Hoch umstritten ist auch der weitere Zugang für EU-Fischer zu britischen Fanggründen.

Um die Post-Brexit-Gespräche aus der Sackgasse zu holen, ist am Montag eine Videokonferenz der EU-Spitzen mit Johnson geplant. An ihr nehmen auf EU-Seite Kommissionschefin Ursula von der Leyen, Ratspräsident Charles Michel, Parlamentspräsident David Sassoli sowie Chefunterhändler Michel Barnier teil. Nach britischen Angaben wurde bereits vereinbart, dass die Verhandlungen nun "intensiviert" werden. Im Juli sollen demnach "jede Woche Gespräche" stattfinden.

EU-Parlament macht Druck

Angesichts fehlender Fortschritte in den Verhandlungen über die künftigen Beziehungen nach dem Brexit erhöht das EU-Parlament den Druck auf Großbritanniens Premierminister Boris Johnson. Die Ausschüsse für Außenbeziehungen und Handel wollen am Freitagnachmittag einen Bericht zu den Post-Brexit-Gesprächen verabschieden.

In ihm drohen die Abgeordneten der Regierung in London mit einem Veto gegen ein Handelsabkommen, wenn sie nicht die Einhaltung von EU-Standards und ein Abkommen zur Fischerei akzeptiert. Es gebe "klare rote Linien", erklärte die konservative EVP-Fraktion am Freitag vor der um 16 Uhr geplanten Ausschussabstimmung. "Um weiter mit der EU frei Handel zu treiben, muss das Vereinigte Königreich EU-Regeln und Standards akzeptieren."

Karas: Es geht „wenig bis gar nichts weiter"

"Großbritannien muss sich an die getroffenen Vereinbarungen halten", fordert ÖVP-Europaabgeordneter Othmar Karas in einer Aussendung am Freitag, und wirft London vor, die Gespräche zu verweigern oder zu verschleppen. In mehreren Bereichen in der Außenpolitik, der Verteidigung und Entwicklungspolitik "gehe wenig bis gar nichts weiter". Noch sei es "für die Briten möglich, zu einer redlichen, ehrlichen und ernsthaften Verhandlungsführung zurückzukehren. Doch die Zeit läuft, und die EU darf sich weder zeitlich noch inhaltlich erpressen lassen", warnte Karas.

SPÖ-EU-Delegationsleiter Andreas Schieder kritisiert in einer Aussendung am Freitag, die "britische Regierung unter Boris Johnson fährt ihren verantwortungslosen Kurs unbeirrt weiter". Britische Verhandler, so auch das Mitglied des außenpolitischen Ausschuss des EU-Parlaments, "lassen bereits getroffene Vereinbarungen platzen und blockieren jeden Fortschritt". Das tut Großbritannien laut Schieder "vor allem im Bereich der Sozial-, Umwelt- und Verbraucherstandards". Es zeige, dass Johnson die "Interessen der großen Mehrheit ... egal" seien.

"Die Erwartung Großbritanniens, die Vorteile eines Mitgliedstaates zu behalten, ohne Verpflichtungen (...) einzugehen, ist einfach nicht realistisch", erklärte die sozialdemokratische Abgeordnete Kati Piri. Johnson habe der EU Ende vergangenen Jahres "fairen Wettbewerb mit klarem Sozial-, Umwelt- und Arbeitsschutz" zugesagt. Er müsse sich nun daran halten.

Abstimmung in einer Woche

Nach der Abstimmung in den Parlamentsausschüssen wird das Plenum über den Bericht am Mittwoch beraten und am Donnerstag darüber abstimmen. London müsse seine Verhandlungsposition "revidieren und sich konstruktiv an den Verhandlungen über faire Wettbewerbsbedingungen beteiligen", heißt es im Entwurf des Dokuments, der am Mittwoch bekannt geworden war. Dies sei "eine notwendige Bedingung für die Zustimmung des Europäischen Parlaments zu einem Handelsabkommen".

Großbritannien war am 31. Jänner aus der EU ausgetreten. In der Übergangsphase bis Jahresende bleibt das Land noch im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion. In dieser Zeit wollen beide Seiten insbesondere ein Handelsabkommen vereinbaren.

(APA/dpa)

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