Wort der Woche

Virus-Angst

„Lockdowns“ im Zuge der Coronapandemie sind nur für einen Teil des Wirtschaftseinbruchs verantwortlich. Ein mindestens gleich wichtiger Faktor ist die Angst vor dem Virus.

Derzeit kann niemand seriös sagen, wie schlimm die wirtschaftlichen Folgen der Coronapandemie sind. Sicher ist nur, dass die Weltwirtschaft massiv getroffen ist. Die Mechanismen dahinter sind vielfältig: Nachfrageseitig sind es v. a. die gesunkenen Konsumausgaben, angebotsseitig wirken sich Betriebsschließungen und die Störung von Lieferketten stark aus. Auf einen bisher kaum beachteten Faktor wiesen nun Forscher um Guy J. Abel, derzeit am Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg tätig, hin: Gastarbeiter überweisen laut Weltbank jährlich 68 Mrd. Dollar an ihre daheimgebliebenen Familien. Wegen der Wirtschaftsprobleme und der Grenzschließungen in den Zielländern der Arbeitsmigranten ist dieser Geldstrom nun gefährdet – das lässt laut den Forschern gravierende Folgen in den Herkunftsländern befürchten (Environment and Planning A, 28. 5.).

Als wichtiger Grund für die jetzige Rezession gilt das politisch erzwungene Herunterfahren von Gesellschaft und Wirtschaft. Allerdings ist das bei Weitem nicht der einzige Grund, wie Ökonomen um Sangmin Aum (Myongji University, Seoul) nun herausgefunden haben. Sie haben Arbeitsmarkt-Daten aus Südkorea (wo nur eine Provinz stark betroffen war und es keinen allgemeinen „Lockdown“ gab) analysiert und mit Zahlen aus den USA und Großbritannien (mit großflächigen „Lockdowns“) verglichen. Das Ergebnis: Ein „Lockdown“ zeichnet höchstens für die Hälfte der Jobverluste verantwortlich. Ein mindestens ebenso gewichtiger Faktor ist die Angst vor einer Covid-19-Ansteckung, die die Aktivitäten von Unternehmen und Konsumenten reduziert (www.nber.org/papers/w27264). Die Forscher betonen, dass das nicht bedeute, dass ein „Lockdown“ die Wirtschaftsprobleme verschlimmert – denn ohne die drastischen Maßnahmen wären die Jobverluste noch größer.

Interessantes Detail: Unabhängig davon, ob ein Land einen „Lockdown“ verhängte oder nicht, sind allerorts v. a. kleine Unternehmen, die Branchen Beherbergung, Lebensmittel, Immobilien, Logistik und Bildung bzw. junge Arbeitnehmer, solche mit geringer Bildung und Zeitverträgen sowie Selbstständige die Hauptbetroffenen der Coronakrise.

Das Ergebnis dieser Studie hat eine wichtige Implikation: Das Aufheben des „Lockdown“ führt nur zu einer moderaten Erholung der Wirtschaft. Die Angst vor der Krankheit bleibt. Folglich sei der beste Weg zur Wiederbelebung des Arbeitsmarkts die Ausrottung des Virus.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2020)

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