Krisenmanagement

Ein Booster für die Digitalisierung

Eine Lehre aus der Coronakrise: Die sinnvolle Kombination der verschiedenen Verkehrswege.
Eine Lehre aus der Coronakrise: Die sinnvolle Kombination der verschiedenen Verkehrswege. (c) imago images/Jochen Tack
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Der Corona-Shutdown hat gezeigt, wie anfällig globale Versorgungsketten sein können. Experten empfehlen neue Strategien, die zu einer höheren Resilienz der Supply-Chain führen.

Eine winzige, lebensähnliche Molekularstruktur hat in den letzten Wochen die globalen Lieferketten gehörig durcheinandergerüttelt. Das nur einige Hunderttausendstel Millimeter große Coronavirus Sars-CoV-2 brachte für die Logistikbranche mehr Herausforderungen als alle politischen und wirtschaftlichen Krisen seit dem Zweiten Weltkrieg. Völlig verändern werden die Folgen der Pandemie den Transport von Waren auf dieser Welt allerdings nicht, meinen Experten.

Großlager keine echte Lösung

Zwar brachte etwa das Just-in-Time-Konzept und damit das Fehlen ausreichender Vorräte in den Krisenwochen für viele europäische Unternehmen Probleme. Aber riesige Lager von einst werden trotzdem keine Renaissance erleben, meint etwa Sebastian Kummer, Leiter des Institutes für Transport und Logistik-Management an der WU Wien: „Natürlich werden Firmen versuchen, mehr Resilienz zu entwickeln, aber ich glaube nicht, dass es wieder zu den alten lagerhaltungsbasierten Strategien kommt.“ Kluge Maßnahmen wie höhere Flexibilität in der Produktion und in der Supply-Chain sowie mehrere Einkaufsquellen sind nach Ansicht des Experten sinnvollere und kostengünstigere Maßnahmen für eine widerstandsfähige Versorgungskette. Auch Hermann Költringer, Unternehmenssprecher von Quehenberger, sieht in Großlagern keine echte Lösung: „Für die engen Just-in-Time-Konzepte mit Warenströmen aus Asien und Südosteuropa wird man vermehrt Sicherheiten einbauen oder Backup-Lösungen entwickeln.“ Als Beispiel nennt er die sinnvolle Kombination unterschiedlicher Verkehrswege wie See- oder Luftfracht etwa mit der transsibirischen Eisenbahn oder jener der neuen Seidenstraße. Ergänzend dazu würden Pufferlager in der Beschaffung und in der Distribution zweckmäßig sein. „Für uns als Kontraktlogistiker sehe ich hier gute Chancen, mit entsprechenden Lösungen zu punkten“, meint der Experte.

Regionalisierung nur in Teilbereichen

Für Wolfram Senger-Weiss, Vorsitzender der Geschäftsleitung bei Gebrüder Weiss, hängen notwendige Maßnahmen vor allem von der Lieferantenstruktur des jeweiligen Unternehmens ab: „In einer Krise poppen Themen auf, bei denen vermutlich schon vorher ein entsprechendes Risiko-Assessment gefehlt hat.“ Wer nur einen Lieferanten am Ende der Welt habe, müsse sich Maßnahmen zur Verbesserungen der Resilienz überlegen. Senger-Weiss betont jedoch, dass Liefer- und Versorgungsprobleme während der Coronakrise nicht allein mit der Entfernung zu tun haben. Warenlieferungen von Lieferanten aus Norditalien hätten während der Krise mitunter mehr Probleme bereitet als solche aus China, wo der Lockdown mit dem Neujahrsfest zusammenfiel und viele europäische Abnehmer schon vorab größere Lieferungen disponierten.

Eine grundlegende Veränderung in Richtung Regionalisierung der Produktion – mit Ausnahme von strategisch wichtigen Erzeugnissen etwa im medizinischen Bereich – sehen die Logistik-Experten ebenfalls nicht. Es wird – bedingt durch ein Umdenken bei Endverbrauchern – eine stärkere Fokussierung auf regionale Erzeugnisse geben, aber das werde nur spezifische Produkte betreffen, meint Senger Weiss: „Produzierende Unternehmen überlegen sehr genau, ob sie Kostenerhöhungen aus einer Regionalisierung im Preis unterbringen.“

Kein Preiskampf zu erwarten

Der Wettbewerb unter den Anbietern von Logistikdienstleistern wird angesichts zumindest mittelfristig kleiner werdender Warenströme aber härter werden, erwarten die Experten. Quehenberger-Sprecher Költringer fürchtet trotzdem nicht den großen Preiskampf auf allen Ebenen: „Kreativität und Flexibilität sind vom Logistiker gefordert“, meint er. Ein Asset könnte die Digitalisierung sein: „Je besser man hier aufgestellt ist, desto effizientere Lösungen kann man dem Kunden anbieten.“

Senger-Weiss hofft ebenfalls, dass die Digitalisierung und damit verbundene optimierte Lösungen zur Resilienz der Supply-Chain beitragen und diese Vorteile den Preis von Logistikleistungen über den reinen Transport hinaus in den Hintergrund rücken werden. Als Beispiel nennt er das erste digitale Trackingservice für Sammelgüter ETA (Estimated Time of Arrival), das sein Unternehmen erst kürzlich  vorgestellt hat.

Die digitale Steuerung und Kontrolle der Supply-Chain sieht auch Wissenschaftler Kummer als eine wesentliche Möglichkeit, um die Resilienz der Supply-Chain gegenüber Krisen wie einer Pandemie zu stärken. Er zweifelt allerdings, ob Kunden dem Logistikunternehmen eine solch zentrale Funktionen gern übergeben würden. „Ein sehr innovativer Ansatz wäre es daher, diese Dienstleistungen mit der Blockchain-Technologie durchzuführen.“ Forschungsarbeiten dazu wurden an seinem Institut bereits lang vor der Coronakrise durchgeführt. Vielleicht ist Sars-CoV-2 genau der Booster, um solche Entwicklungen zu beschleunigen.

Zeichen der Erholung

Die Lieferketten beginnen sich langsam wieder zu normalisieren. Darauf deutet eine Auswertung des Internetmarktplatzes für die elektronische Ausschreibung von Transporten und Logistikleistungen „Cargoclix“ hin. Während bei den Automobilherstellern und ihren Zulieferern während des Lockdown in der ersten Aprilwoche noch 50 Prozent weniger Zeitfenster gebucht wurden als einige Wochen zuvor, stieg die Nachfrage bis Ende Mai wieder um rund 30 Prozent an und lag damit nur noch etwa zwei Prozent unter Vorjahresniveau.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.06.2020)

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