Sprachkompetenz

Mehrsprachigkeit in der Schule: Zwischen Bereicherung und Bedrohung

Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) sorgte sich zuletzt um "Parallelgesellschaften", die durch die Mehrsprachigkeit von Schülern in Wien entstehen könnten.
Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) sorgte sich zuletzt um "Parallelgesellschaften", die durch die Mehrsprachigkeit von Schülern in Wien entstehen könnten.APA/HELMUT FOHRINGER
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Die Debatte um die Mehrsprachigkeit und den Deutschförderklassen zeigt, wie sich Theorie und Praxis bei der Sprachförderung von Schülern unterscheiden.

Nach den Aussagen zu den „Parallelgesellschaften“, die durch den hohen Anteil von Kindern, deren Erstsprache nicht Deutsch sei, in Wien entstünden, reißt die Kritik an Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) nicht ab: Wiens Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorsky (SPÖ) betonte als Reaktion darauf die Bedeutung der Mehrsprachigkeit als „Schlüssel zur Welt“, der ein „Schatz“ und eine „Bereicherung für eine international vernetzte Stadt“ wie Wien sei. In sozialen Medien wurde Raab für die vermeintliche Gleichsetzung von Migrationshintergrund und Deutschförderbedarf ebenfalls scharf kritisiert.

Die Aussagen der Ministerin erscheinen aus wissenschaftlicher Sicht tatsächlich eher als populistischer Angriff vor dem Hintergrund der Wien-Wahl als eine begründete Sorge. Denn der Schluss vom Migrationshintergrund auf die Deutschkompetenz von Schülern ist wissenschaftlich nicht haltbar. „Aussagen wie diese sind brandgefährlich und tun mir weh, weil sie von der Bevölkerung wahrgenommen und verfestigt werden“, sagt Eva Vetter, die am Zentrum für LehrerInnenbildung und am Institut für Sprachwissenschaft an der Universität Wien zu Sprachlehre und -lernen forscht. So würde sie „in den letzten Jahren eine Verfestigung der Geringschätzung von Mehrsprachigkeit“ sehen, sagt sie. Die aktuelle Sprachpolitik dringe dabei bis in die „Intimität“ des Privaten ein, da „zuhause nur eine bestimmte Sprache gesprochen werden soll.“ Was Menschen zum Sprachlernen bräuchten, sei jedoch eine „zwangsfreie Umgebung und kein Sprachenzwang.“

„Kein Mensch einsprachig“

Dazu, was Mehrsprachigkeit überhaupt genau umfasst, gebe es ohnehin divergierende Positionen, sagt Vetter. Eine basiert auf dem theoretischen Modell von Eugenio Coseriu, dem zufolge sich die Alltagssprache jedes Menschen je nach Situation permanent verändert. Demnach sei „kein Mensch einsprachig“, sagt Vetter. Generell unterscheidet die Sprachwissenschaft zwischen angeeigneter bzw. gelernter Zwei- oder Mehrsprachigkeit. Letztere übt beim Spracherwerb zumeist einen additiven und damit meist positiven Effekt auf das Erlernen von anderen Fremdsprachen aus.

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