Protestbrief

Rassismusvorwürfe gegen Frauenrechts-NGO

APA/AFP/THOMAS KIENZLE
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Die Präsidentin der weltweit tätigen, einflussreichen Gruppe „Women Deliver" mit Sitz New York entschuldigt sich für massives Fehlverhalten und kündigt eine Untersuchung an. Es geht auch um einen angeblichen „weißen Erlöserkomplex" und „falschen Feminismus".

Inmitten der in vielen Ländern geschürten Empörungswelle wegen Rassismus- und Diskriminierungsvorwürfen ist nun eine international tätige Frauenrechtsorganisation unter Beschuss gekommen. Der Gruppe „Women Deliver" mit Sitz New York wird demnach eine „toxische Kultur von Rassismus" im Unternehmen vorgeworfen.

Die Vorwürfe erheben mehr als 100 frühere und aktuelle Mitarbeiter der NGO mit Sitz New York und andere Aktivisten. So behaupten vor allem schwarze frühere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, sie seien in der Organisation diskriminiert worden und auch unterrepräsentiert.

Tatsächlich räumte die Präsidentin von Women Deliver, Katja Iversen (50), Berichten vom Mittwoch zufolge Fehler ein. Sie entschuldigte sich, übernahm die Verantwortung und versprach eine unabhängige Untersuchung der Vorwürfe. „Wir haben uns nicht an unsere eigenen Werte gehalten", schrieb sie, „und ich bedauere zutiefst den Schmerz und das Trauma, das gegenwärtige und frühere Mitarbeiter erlebt haben."

Präsidentin legt Funktion zurück

Iversen, eine Dänin, die früher Mitarbeiterin etwa von UN-Organisationen gewesen war, mit Kinder- und Frauenrechten sowie interkulturellen Themen als Schwerpunkten, legte ihre Funktion überdies vorerst zurück. Derzeit firmiert die Norwegerin Kristin Hetle als „Chair of the Board".

womendeliver.org

Women Deliver wurde 2007 als globale Interessensgruppe gegründet; der Name ist nicht exakt zu übersetzen und wohl absichtlich mehrdeutig, er kann bedeuten „Frauen entbinden", „Frauen schaukeln die Sache", „Frauen liefern". Anfangs ging es primär um Frauengesundheit, die Senkung der Müttersterblichkeit, sexuelle Selbstbestimmung und freien Zugang zu fortpflanzungsmedizinischen Methoden. Das Spektrum wurde generell auf Fragen der Frauenrechte, der Diskriminierung und Förderung erweitert. Einer der Slogans ist: „Investiere in Frauen, es zahlt sich aus."

Man berät Regierungen, Unternehmen und Gruppen der Zivilgesellschaft. Jährlich wird die größte Konferenz zum Thema Geschlechter-Gleichheit veranstaltet, bei der es teils mehr als 8000 Teilnehmer gab, darunter Staats- und Regierungschefs, zuletzt Juni 2019 in Vancouver (Kanada).

>>> Link zu Women Deliver

Eine Sprecherin der NGO sagte, dass man aktuelle Mitarbeiter dezidiert ermuntere, aufzustehen und sich zu beschweren, auch öffentlich. Es werde deswegen keine „Strafmaßnahmen" geben.

„Falscher Feminismus", „weißer Erlöserkomplex"

„Meine Zeit bei Women Deliver war verseucht durch lupenreinen Rassismus", twitterte eine Ex-Mitarbeiterin namens Chelsea Williams-Diggs, und sprach dazu von „weißem Faux-Feminismus" ("falscher" oder „vorgetäuschter" Feminismus; der Vorwurf, sich nur vorgeblich als feministisch zu gebärden) und einer ausgeprägten „Hackordnungskultur" von oben nach unten. Sie habe letztlich „traumatisiert" gekündigt.

womendeliver.org

Eine andere Ex-Mitarbeiterin, Brittany Taum, beklagte Diskriminierung in Form von niedrigen Gehältern, verbaler Misshandlung und durch die Frage eines Mitglieds der Personalabteilung, ob ihr Haar „echt" sei.

Überhaupt ortete sie einen „weißen Erlöserkomplex", der etwa dazu geführt habe, dass qualifizierte schwarze Kandidaten häufig abgelehnt worden seien. Von 58 Mitarbeitern und (vorwiegend) Mitarbeiterinnen des „Teams" der NGO sind, wie man an ihrer Website sehen kann, tatsächlich nur etwa zehn mehr oder weniger dunkelhäutig. Im achtköpfigen Vorstand (nach einer anderen Angabe sind es zehn Personen) sind demnach nur zwei Schwarze. Unter anderen sitzt die frühere Premierministerin Neuseelands, Helen Clarke, in dem Gremium.

Probleme „endemisch in der NGO-Welt"

In dem öffentlichen Beschwerdebrief heißt es auch, dass die Unterzeichner mit Women Deliver und möglichen Vorteilen, die man aus deren Arbeit ziehen könnte, nichts zu tun haben wolle. Diese Plattform gründe auf „weißem Überlegenheitsanspruch, unternehmensstruktureller Machtausübung und rassischer Unterdrückung".

Kenner der Materie weisen seit langem darauf hin, dass die beklagten Probleme bei Women Deliver in der NGO-Welt generell „endemisch" seien, auch in Frauenrechtsgruppen. Sie gesellen sich zu anderen Problemen und Enthüllungen: Etwa jener von sexueller Ausbeutung durch Mitarbeiter der britischen NGO „Oxfam" in Haiti, von Misswirtschaft, schlechter Unternehmenskultur, Mobbing etc.

(Thomson Reuters Foundation/Red.)

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