Film

Den Männern zum Trotz

Ein letzter unbeschwerter Abend: Guida (Júlia Stockler) wird sich aus dem Haus schleichen, um zu tanzen. Eurídice (Carol Duarte) wartet auf sie. Vergeblich.
Ein letzter unbeschwerter Abend: Guida (Júlia Stockler) wird sich aus dem Haus schleichen, um zu tanzen. Eurídice (Carol Duarte) wartet auf sie. Vergeblich.(c) Thiemfilm
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Schaut so Unglück aus? Nein! In „Die Sehnsucht der Schwestern Gusmão“ begleitet Karim Aïnouz zwei widerspenstige Frauen durch ein schwieriges Leben. Wunderschön.

Eine junge Frau spielt im abgedunkelten Wohnzimmer Klavier, lebhaft, fast trotzig, während Mutter und Schwester nebenan in der Küche hastig das Essen für den Gast vorbereiten; er hat sich überraschend angekündigt, ein Geschäftspartner des Vaters, jemand, über dessen Witze sie werden lachen müssen. Die junge Frau spielt und spielt und hört nicht, dass man sie ruft, oder sie will es nicht hören.

Ein Mann putzt einen Fisch, ein riesiges Tier ist es, das er da mit dem Messer bearbeitet, die Schuppen fliegen in alle Richtungen, eben hat er seine schwangere Tochter verstoßen, eben hat er ihr gesagt, dass sie für ihn gestorben ist – sie ist die Treppe hinuntergegangen und hat das Gartentor hinter sich geschlossen. Er wird sie nie wiedersehen, und vermutlich weiß er das.

Eine Frau liegt auf dem Sofa unter einer bunten Decke und ringt mit dem Tod, eine andere steht neben ihr am Fenster, die Zigarette in der Hand, und schaut ihrem Sohn zu, wie er für die Sterbende tanzt, unbekümmert, auch ein bisschen ungelenk, und gerade deshalb so süß. Es ist eine kurze Pause an einem schweren Tag, ein unerwartetes Augenzwinkern des Glücks, und wenn sie etwas gelernt hat, dann: Man muss sich dem Glück ergeben, wenn es ruft, und wenn es nur eine Zigarettenlänge währt.

„Die Sehnsucht der Schwestern Gusmão“ ist ein Film der Wohnzimmer und Innenhöfe, der Vorgärten und Küchen, hier spielt sich das Leben ab, hier wird getrauert und gelacht und gelogen und gehasst – und auch gesehnt, wie es schon der Titel verspricht: Eine kleine Welt ist es, die der Filmemacher Karim Aïnouz hier zeigt, eine kleine Welt im großen Brasilien, wo Frauen kochen und waschen und Kinder kriegen, jedenfalls wünschen sich das die Männer. Die Welt draußen? Das sind gackernde Hühner, bellende Hunde, die im Spiel plaudernden Kinder, deren Stimmen durch die Fenster und über Gartenmauern hallen. Das ist der Friedhof, auf dem die Schwestern ihre Toten besuchen.

Zerbrochene Träume

Doch den beiden Schwestern ist das nicht genug. Guida, die Ältere, ist mit einem Seemann gen Griechenland aufgebrochen, nur einen Brief hat sie hinterlassen und einen vor Wut schäumenden Vater. Eurídice, die Jüngere, möchte Pianistin werden. Beider Träume scheitern. Der Seemann lässt Guida zurück. Eine Schwangerschaft – und dann noch eine – verhindern Eurídices Karriere. Was noch schlimmer ist: Die beiden Schwestern, eng verbunden, werden getrennt. Als der Vater Guida aus seinem Leben wirft, sollen auch die Schwestern sich nicht mehr sehen. Guida studiere in Wien, sagt er der einen. Eurídice sei in Griechenland, der anderen. Lügen. Die sehnsuchtsvollen Briefe Guidas werden unterschlagen, landen fest versperrt im Tresor des Vaters, er vermacht ihn dem Schwiegersohn. Als der stirbt, kennt nur Eurídices Sohn den Code, er ist schließlich der Mann im Haus, da sind wir schon fast in der Gegenwart: Der brasilianische Machismo, er lebt weiter.

Es hätte ein trauriger Film werden können. Wurde es aber nicht. Da Júlia Stockler eine anmutige, freudvolle Guida spielt, der man immer dabei zusehen könnte, wie sie tanzt oder auch nur an der Zigarette zieht. So viel Lebensmut! Da Carol Duarte ihrer Eurídice bei aller Zerbrechlichkeit eine ordentliche Portion Widerborstigkeit verpasst. Und da Karim Aïnouz eben keine Leidensgeschichte, sondern eine Lebensgeschichte erzählt, vorsichtig Alltagsmomente einfangend, schöne und traurige. Und wer weiß: Vielleicht wird ja alles wieder gut.

„Die Sehnsucht der Schwestern Gusmão“ hätte Mitte März in die Kinos kommen sollen. Ab Freitag wird der mit dem Hauptpreis der Cannes-Nebenschiene „Un Certain Regard“ ausgezeichnete Film im Gartenbaukino gezeigt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2020)

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