Leitartikel

Angela Merkels längst überfällige europäische Erkenntnis

APA/dpa/Michael Kappeler
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Deutschlands Bundeskanzlerin sieht den gemeinsamen Binnenmarkt der EU nicht mehr als gottgegebene Selbstverständlichkeit an – und das ist gut so.

Von Ernest Hemingway stammt die wohl beste Beschreibung des Bankrotts. Die Pleite, so eine seiner Romanfiguren, vollziehe sich auf zwei Weisen: erst allmählich, und dann plötzlich. Ein langes Finanzgefälle führt zur steilen Klippe der Zahlungsunfähigkeit. Und ist man erst über diesen Klippenrand, ist der Rückweg zur Normalität versperrt und der harte Aufprall unausweichlich.

Diese Abfolge von sanftem Abstieg und jähem Fall lässt sich auch in der Politik beobachten – das Paradebeispiel ist das lange Siechtum und die plötzliche Implosion der UdSSR. Rückblickend betrachtet fällt es naturgemäß leicht, spezifische Warnsignale zu erkennen, die von den damaligen Entscheidungsträgern ignoriert wurden. Es gibt aber ein eindeutiges Symptom, dessen Auftreten zeitnah auf Gefahr in Verzug hinweist: nämlich ein profundes, objektiv nicht begründbares Gefühl der Sicherheit vor dem Hintergrund des Wandels. So wie einem Bankrotteur der eigene Bankrott unvorstellbar erscheint, weil er schon so lang über seine Verhältnisse gelebt hat, dass er diesen Zustand als völlig normal ansieht, so konnten sich weder die Moskauer Apparatschiks noch die Washingtoner Analysten den Zusammenbruch des Ostblocks vorstellen, weil die Sowjetunion ein fixer Bestandteil ihrer mentalen Landkarten war: Weil es die UdSSR gab, musste es sie weiter geben.

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