Junge Forschung

Wo die Welt sich überlagert

Teilchen, die sich in unendlich vielen Zuständen befinden und deren Ereignisse keine Reihenfolge haben, sind das Spezialgebiet von Yelena Guryanova.
Teilchen, die sich in unendlich vielen Zuständen befinden und deren Ereignisse keine Reihenfolge haben, sind das Spezialgebiet von Yelena Guryanova.(C) Akos Burg
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Die Quantenphysikerin Yelena Guryanova erforscht das merkwürdige Verhalten von Teilchen auf der kleinsten Skala. Um es zu begreifen, braucht es eine trainierte Intuition.

In der Welt der Quanten kann ein Teilchen gleichzeitig auch eine Welle sein, sich vorwärts und rückwärts bewegen, viel und wenig Energie besitzen, sich rechts und links von einem Bezugspunkt befinden – die sogenannte Superposition gehört wohl zu den berühmtesten Merkwürdigkeiten der Quantenmechanik. Die zu ihrer Veranschaulichung von Schrödinger erdachte Katze wohl zu den berühmtesten Untoten aus diesem Reich der Unbestimmtheiten und Überlagerungen.

Für den Laien ist es schlicht nicht vorstellbar, wie derart diametrale Zustände gleichzeitig existieren sollen, es widerspricht jeglicher Intuition. Doch diese Intuition ist letztlich auch nur eine Frage des Erlernten, wirft Yelena Guryanova vom Institut für Quanteninformation und Quantenoptik (IQOQI) der Akademie der Wissenschaften ein. „Man erlangt die Intuition für die Welt um uns herum, weil man viel Erfahrung darin sammelt. Schon als Kleinkind lernt man, dass Dinge auf den Boden fallen, wenn sie umgestoßen werden, man entwickelt eine Intuition für die Schwerkraft. Um für die Quantenmechanik eine Intuition zu entwickeln, muss man einfach viel Erfahrung in der Mathematik dahinter sammeln.“

Forschen, wo die Sprache versagt

Dann würden Konzepte wie die Superposition auch nicht mehr so paradox anmuten, so die Forscherin. Und es würde einem auch auffallen, dass diese Gegenüberstellung zweier Zustände der Superposition nur die halbe Wahrheit ist. „Eigentlich sind das nur zwei von einer unendlichen Zahl an Zuständen des Teilchens, die sich alle überlagern. Wenn man sagt, dass es sich z. B. rechts und links befindet, dann deshalb, weil man in der Quantentheorie für seine Beschreibung rechts plus links in der Gleichung verwenden kann. Doch die Beschreibung rechts minus links ist gleichwertig, nur fehlt uns dafür die Sprache, um es zu artikulieren.“

Guryanova erforscht unter anderem eine ganz spezielle Form dieser Überlagerungen: die Superposition der Kausalität. Hier geht es dann nicht mehr nur noch um den Zustand eines Teilchens, sondern um die Reihenfolge von Ursache und Wirkung. „Wir sind es gewohnt, dass Ereignisse in einer gewissen Reihenfolge stattfinden, A verursacht B oder umgekehrt. Doch in der Quantenwelt ist es möglich, dass A und B sich gegenseitig verursachen, man kann den Ereignissen keine Reihenfolge geben. Und zwar nicht, weil man die Reihenfolge nicht kennt, sondern weil sie fundamental unmöglich ist.“

Ob solche kausalen Überlagerungen in der Natur tatsächlich vorkommen, ist noch nicht bewiesen. Doch gerade wenn sie nicht vorkommen, obwohl die Theorie sie voraussagt, sei das für sie spannend, betont die Forscherin, denn dann will sie herausfinden, warum das so ist und welche Implikationen das für die Natur hat.

So kompliziert ihr Fach auch klingen mag, eigentlich sei sie in der Physik gelandet, weil sie faul sei, untertreibt Guryanova. „Ich fand die reine Mathematik zu abstrakt, und für die Chemie und Biologie muss man sich so viele Dinge merken. In der Physik muss man sich dagegen nur wenige Grundsätze einprägen, den Rest kann man sich dann mit ein bisschen Logik selbst herleiten – das macht mir großen Spaß.“

Wann sie sich für ihre Laufbahn entschieden habe, wisse sie dagegen gar nicht mehr, sagt die in Moskau geborene und in Großbritannien aufgewachsene Wissenschaftlerin. Sie sei jedenfalls keines dieser Kinder gewesen, das schon in der Grundschule Physikbücher gewälzt habe. Aber sie habe immer schon gern technische Dinge auseinandergenommen, ein Ingenieurstudium wäre vielleicht das Richtige gewesen, scherzt Guryanova.

Doch es wurde die Physik, die sie nach ihrem Schulabschluss in der Kleinstadt Marlow an der Universität in Bristol zu studieren begann. Dort erlangte sie auch alle akademischen Grade, und bekam schließlich in Wien eine Stelle angeboten. Die sollte sich als erfolgreich erweisen: Gemeinsam mit zwei Kollegen konnte sie vergangenes Jahr eine Förderung des Wissenschaftsfonds FWF in Höhe von 1,9 Millionen Euro einwerben.

ZUR PERSON

Yelena Guryanova (31) studierte Mathematik und Physik an der Universität Bristol (GB), wo sie 2016 zum Thema „Korrelationen, Kausalität und Thermodynamik in Quanten und darüber hinaus“ promovierte. Anschließend forschte sie zweieinhalb Jahre als Postdoc am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der ÖAW in Wien, seit 2019 leitet sie hier eine eigene Forschungsgruppe.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.06.2020)

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