ÖH-Generalin: "Man kann Studenten nicht in ein Fach zwingen"

kann Leute nicht Fach
kann Leute nicht Fach(c) Michaela Bruckberger
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Die neue ÖH-Generalsekretärin Mirijam Müller über Aufnahmetests und eine Hochschule, die ihre Studenten krank macht.

DiePresse.com: In Klagenfurt soll das Psychologie-Studium für zwei Jahre gesperrt werden, die WU warnt ihre Studenten in einem Brief vor katastrophalen Bedingungen: Kapitulieren die Rektoren vor der Regierung?
Mirijam Müller: Natürlich sind die Rektoren auch in einer schlimmen Lage, weil sie versuchen, ihre Unis zu finanzieren. Sie sehen sich aus der Situation nicht mehr raus, wollen unbedingt Geld und weniger Studierende, was im Bezug auf WU-Rektor Werner Badelt interessant ist: Denn er hat jahrelang dafür gekämpft, möglichst viele Studierenden an die WU zu holen, und jetzt will er sie nicht mehr haben. Auch in der derzeitigen Lage halte ich aber die Antwort, Zugangsbeschränkungen einzuführen oder Studienrichtungen abzudrehen für den falschen Ansatz.

Sollten sich die Rektoren mehr bemühen, anderswo Mittel zu bekommen, zum Beispiel durch Kooperationen mit der Privatwirtschaft?
Müller: Bildung muss es uns wert sein, sie staatlich zu finanzieren. Natürlich sind Drittmittel gerade im Bezug auf die Forschung schon lange etabliert. Ich denke aber nicht, dass die Lösung unserer Hochschulmisere der sein kann, dass man den Rektoren sagt, sie sollen zu Firmen betteln gehen. 

Wie könnte man die Unis aus der Misere führen, ohne immer nur mehr Geld zu verlangen?
Müller: Gar nicht. Ich sehe keinen Weg daran vorbei, Universitäten mehr Geld zu geben. Gerade in wirtschaftlich schlechten Zeiten sind Investitionen im Bildungsbereich sinnvoll, statt immer nur in Bauwirtschaftsprojekte und kurzfristige Maßnahmen zu investieren. Bildung ist eine der wenigen wirklich wirksamen, langfristig konjunkturbelebenden Maßnahmen.

Sowohl Rektoren als auch Studierende leiden unter der Situation im Hochschulsektor. Trotzdem hat man oft den Eindruck, sie ziehen nicht an einem Strang.
Müller: Ja und nein. Was die Finanzierung betrifft, ziehen wir sehr wohl an einem Strang. Studierende und Rektoren kämpfen dafür, dass wieder mehr Geld in den Sektor fließt. Die Rektoren sind allerdings auch sehr daran interessiert, die beste Universität im Bezug auf internationale Vergleiche zu schaffen, die oft nicht viel aussagen, und Eliteprogramme zu fahren, was der breiten Masse überhaupt nicht zugute kommt. Insofern stehen da die Interessen oft konträr gegenüber.

Beim Hochschuldialog haben Sie dasselbe gemacht: Beide sind ausgestiegen. Wie soll sich in dem Bereich je etwas ändern, wenn es die beteiligten Akteure nicht schaffen, sich an einen Tisch zu setzen?
Müller: Das Problem am Hochschuldialog war, dass das Angebot des Wissenschaftsministeriums nicht ganz ernst gemeint war. Ich denke, dass nur eine politische Lösung möglich ist, wenn tatsächlich alle gesprächsbereit sind und nicht von oben herab entschieden wird, was passiert. 

Serie: Die Zukunft der Unis

Gesprächspartner aus dem Uni-Sektor haben in der DiePresse.com-Serie ihre Visionen für die österreichischen Universitäten skizziert. Alle Gespräche zum Nachlesen.

Wenn über die Problematik an den österreichischen Unis gesprochen wird, geht es sehr oft um die Massenfächer...
Müller: Gegen den in Mode gekommenen Begriff „Massenfächer“ habe ich etwas, denn dafür gibt es keine wirkliche Definition. Medizin wird auch immer als Massenfach bezeichnet, und in Wirklichkeit studieren das nur sehr wenige.

Wie kann man die Studierendenströme sinnvoll lenken?
Müller: Man muss die breite Palette an Möglichkeiten in Österreich sichtbar machen. Die meisten Schüler kennen das Studienangebot gar nicht, kennen die Unterschiede zwischen FH und Universität nicht. Deshalb ist das der erste Punkt, wo es zu Verbesserungen kommen kann: Wenn man die Leute informiert, und sie dann nach ihren eigenen Vorstellungen und Wünschen studieren lässt. Es bringt nichts, Leute, auch wenn sie eine Begabung für ein bestimmtes Fach haben, zu zwingen: Du studierst das oder nichts, wenn sie dann damit unglücklich werden. 

Der Anteil der Studierenden aus niedrigen sozialen Schichten ist trotz freiem Hochschulzugang nicht gestiegen, sondern gesunken. Wo hakt es?
Müller: Wir haben ein sehr löchriges Stipendiensystem, wo ganz viele Studierende durchfallen. Außerdem müssen unglaublich viele Studierende nebenbei arbeiten, was ja auch die neue Studierendensozialerhebung belegt. Und dann liegt das Problem zum Teil auch am Unterhaltssystem in Österreich. Dadurch, dass Studierende ab dem 18. Lebensjahr ihren Unterhalt direkt bei den Eltern einklagen müssten und der nicht mehr vom Jugendamt vorgeschossen wird.

Zwei Drittel der Studenten leiden unter Stress und psychischen Belastungen: Macht die Uni die Leute krank?
Müller: Zum Teil. Viele Studierende müssen nebenbei arbeiten, daraus ergeben sich natürlich extreme Stress-Situationen. Auch Knockout-Prüfungen, wie sie jetzt gang und gäbe sind, sind extreme Stress-Situationen. Studieren und Arbeiten ergibt zusammen meist eine 50-Stunden-Woche, wo Burnout ganz normal ist.

Was brauchen die Studenten, damit es ihnen gut geht?
Müller: Soziale Absicherung. Wir vom VSStÖ haben das Modell vom Grundstipendium für Studierende, das über Vermögensbesteuerung gegenfinanziert wird. Dabei sollen alle Studierenden, ähnlich wie beim Modell der Familienbeihilfe, ein Grundstipendium erhalten. Das soll den Grundbedarf und ein bisschen darüber hinaus abdecken. Belastungen wie das nebenbei Arbeiten würden so wegfallen.

Die Hälfte der Studierenden in Österreich bricht ab. Was ist los?
Müller: Die Betreuungsverhältnisse sind eine Katastrophe. Man wird regelrecht rausgeprüft. Wenn man sich die Studien anschaut, wo das Betreuungsverhältnis gut ist, sind die Abbrecherquoten wesentlich niedriger, weil die Studierenden nicht das Gefühl haben, sie sind sowieso unerwünscht.

Brauchen wir bessere Studienanfänger?
Müller: Ich glaube durchaus, dass es an der Zeit ist, einiges im Schulsystem zu ändern. Bei unserem Bildungssystem hakt es schon viel früher als auf den Hochschulen. Das sieht man zum Beispiel dadurch, dass Frauen im EMS-Test schlechter abschneiden, weil sie in den naturwissenschaftlichen Fächern in der Schule nicht so gefördert werden wie Burschen. Auch die frühe Differenzierung zwischen Gymnasium und Hauptschule ist bildungspolitisch eine totale Katastrophe.

Wie soll die Universität in zehn Jahren aussehen?
Müller: Ich wünsche mir ausfinanzierte Universitäten, einen freien Hochschulzugang, Universitäten, wo es sogenanne Massenfächer nicht mehr gibt, weil das Studienangebot auch wahrgenommen wird und die Leute informiert sind. Ich wünsche mir demokratischere Universitäten. Gerade die Änderungen, die durch die letzte UG-Novelle gekommen sind, haben die studentische Mitbestimmung stark beschnitten. Ich würde mir wünschen, dass die Studierenden als Partner wieder ernst genommen werden.

Wovon hängt die Zukunft der Unis am meisten ab?  Bessere Studienanfänger, mehr Geld, straffere Lehrprogramme, bessere Verteilung der Ressourcen, mehr Wettbewerb?
Müller: Von den genannten Begriffen mehr Geld. Aber in Summe werden die Hochschulen in Österreich nicht automatisch sehr viel besser werden, wenn es mehr Geld gibt. Da hängen schon mehrere Faktoren zusammen. Die ganze Universitäts-Organisation und viele Studienpläne müssten verbessert werden. Auch die Implementierung der Bologna-Struktur hinkt in Österreich sehr und schießt an Bologna oft vorbei.

Zur Person

Die 22-jährige Medizinstudentin Mirijam Müller vom VSStÖ löste Anfang Juli Eva Maltschnig als ÖH-Generalsekretärin ab. Die gebürtige Salzburgerin ist seit 2009 Mandatarin an der MedUni Wien. Während den Studentenprotesten im Herbst 2009 engagierte sie sich in der AG Medizin. Vor ihrem Antritt als ÖH-Generalin war sie im Sozialreferat der Bundesvertretung tätig.

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