Wort der Woche

Verletzlichkeit der Lieferketten

Die Coronakrise zeigte auf, wie verletzlich die weltweiten Lieferketten sind. Auch in Österreich ist das System nur beschränkt robust, zeigte nun eine Untersuchung.

Ein zentraler Dreh- und Angelpunkt der arbeitsteiligen Wirtschaft sind Liefer- und Wertschöpfungsketten: Jegliche Güterproduktion ist heute auf Lieferanten und auf Abnehmer angewiesen. Sobald es in dieser Kette eine Schwachstelle oder Störung gibt, kommt die gesamte Maschinerie ins Stocken. Spezialisierung, Globalisierung, Auslagerung der Produktion und Verkleinerung der Lagerhaltung haben zwar in jüngster Zeit große Effizienzgewinne ermöglicht – allerdings um den Preis, dass das Wirtschaftssystem an Resilienz einbüßte (also anfälliger für Störungen wurde). Lieferausfälle können sich in Kaskaden fortpflanzen und im Extremfall zu einem Kollaps ganzer Wirtschaftszweige führen. Wie es in der Coronakrise z. B. der Autoindustrie widerfahren ist.

Lieferketten stehen derzeit im Fokus der Wirtschaftspolitik – und auch der Wissenschaft. So hat etwa Fraunhofer Austria kürzlich gemeinsam mit einem Lebensmittelgroßhändler eruiert, aus welcher Region Waren in welche anderen Gebiete transportiert werden. Nun kann rasch dargestellt werden, welche Auswirkungen z. B. eine Quarantäne oder eine Grenzschließung auf die Lebensmittelversorgung hätte. Noch weiter geht das im Vorjahr gestartete „Josef-Ressel-Zentrum für Echtzeitvisualisierung von Wertschöpfungsnetzwerken“ an der FH Oberösterreich in Wels: Gemeinsam mit BMW und Hofer wird derzeit ein Modell der Lieferantennetzwerke entwickelt, das in Echtzeit vor kritischen Entwicklungen warnen soll.

Einen sehr umfassenden Plan verfolgt man am Complexity Science Hub (CHS) Vienna: Man will die gesamte österreichische Wirtschaft anhand der Liefer- und Wertschöpfungsketten abbilden. Hätte man ein derartiges Modell, könnte man Systemrisken bewerten und wirtschaftspolitische Maßnahmen sehr realitätsnah per Computer simulieren.
Für dieses Modell werden derzeit Daten erhoben. So wurde gemeinsam mit der Wirtschaftskammer Österreich eine Befragung von Tausenden heimischen Unternehmen durchgeführt. Eine erste statistische Auswertung brachte beunruhigende Resultate: Rund ein Drittel der Betriebe droht demnach stillzustehen, wenn ihr wichtigster Lieferant ausfällt. Und für mehr als die Hälfte dieser zentralen Lieferanten gibt es keine Alternativen.

Fazit: Österreichs Lieferketten sind nur beschränkt robust, es könnte relativ leicht zu systemisch relevanten kaskadenartigen Zulieferkrisen kommen. Die Forscher sehen dringenden Bedarf einer genaueren Analyse mit mehr Daten.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

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