Die Begrüßung ist ein bedeutender Grundpfeiler der zwischenmenschlichen Interaktion.
Rituale

Warum wir grüßen

Die Begrüßung ist eine Einladung, sie ist eine friedvolle Geste. Der Inhalt ist nicht so wichtig wie der Akt selbst.

Wer zum Gruß die Hand ausstreckt oder eine Umarmung andeutet, wer also mit offenen Armen auf seinen Gesprächspartner zugeht, der zeigt zunächst einmal eines: Er hat keine Waffen in der Hand. Dieser alte, friedliche Gedanke wohnt noch immer der Begrüßung inne, und auch sonst ist diese Geste ein bedeutender Grundpfeiler der zwischenmenschlichen Interaktion. Eine Art Gruß kennen schon die Primaten, Einleitungsformeln für Gespräche haben sich im Laufe der Zeit gewandelt und weiterentwickelt, ehe mit Einführung der Höflichkeitsformen normierte Begrüßungen entstanden. Der heute geläufige, rituell verfestigte Gruß ist eine moderne Erfindung, so auch das Händeschütteln, und noch jünger ist die Verbreitung des legeren Grußes, des „Hi“ und des „Hey“, des lässigen Handschlags und des Faustgrußes („fist bump“). Als er zu studieren begonnen habe, in den 1970er-Jahren, sei man mit den Kommilitonen noch per Sie gewesen, erzählt der emeritierte Soziologe Jörg Bergmann von der Uni Bielefeld. Die „Informalisierung“ der Gesellschaft schreite seit den Sechzigerjahren voran, doch der Gruß selbst, der bleibt natürlich.

Formell oder herzlich? „Der Gruß ist die Erklärung, dass wir den gemeinsamen Bräuchen unterworfen sein werden“, schrieb der spanische Philosoph José Ortega y Gasset über dieses Ritual, „er ist in unserer Beziehung zu den Leuten der Eröffnungsakt, bei dem wir uns bereit erklären, alle übrigen Bräuche, die in der betreffenden Gesellschaftsgruppe gelten, anzuerkennen.“ Das ist denn auch der Grund, warum wir überhaupt grüßen, denn inhaltsschwer ist der Gruß nicht. „In allen Begrüßungen in unterschiedlichen Kulturen geht es nicht um Inhalte“, sagt Bergmann. Es gehe darum, dass sich durch den Akt des Grußes sowohl der Grüßer als auch der Gegrüßte als Mitglieder derselben Gemeinschaft definieren. Darüber hinaus sagt der Gruß etwas über die Beziehung der beiden Personen zueinander aus: Ist der Gruß formell oder herzlich? Treffen einander zwei alte Schulfreunde oder zwei hochseriöse Diplomaten? In anderen Worten: „Servus“ oder „Guten Tag“?

„Die Vorgeschichte der Beziehung kommt in der Begrüßung zum Ausdruck, daher ist sie vergangenheitsorientiert. Die Verabschiedung hingegen ist zukunftsorientiert“, stellt Bergmann fest („Auf Wiedersehen“, „Bis bald“). Wenn der Gruß also ein beiderseitiges Bekenntnis zu der Gemeinschaft ist, so lässt er dennoch Raum für die eigene Persönlichkeit. Verwende ich einen religiösen Gruß? Bin ich in der Begrüßung distanziert oder überfreundlich? Bin ich gar unterwürfig, weil ich etwas von der anderen Person brauche? In jedem Fall eröffnet die Begrüßung eine „Phase erhöhter Zugänglichkeit“, wie der Soziologe Erving Goffman festhielt. Heißt: Für die involvierten Personen entsteht mit dem Gruß die Möglichkeit, in Interaktion zu treten – dabei reicht die Möglichkeit an sich aus, denn interagieren muss man nicht. Man denke an den Gruß im Vorbeigehen, oder an das Winken, wenn man eine Bekannte auf der anderen Straßenseite sieht.

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