Bilanzskandal

Wirecards Ex-Chef Braun muss verpfändete Aktien abstoßen

Wirecard-Ex-Chef  Markus Braun
Wirecard-Ex-Chef Markus BraunAPA/dpa/Peter Kneffel
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Der Bilanzskandal beim deutschen Zahlungsdienstleister Wirecard spitzt sich dramatisch zu. 1,9 Milliarden Euro sind unauffindbar. Die Aktie geht erneut auf Talfahrt.

Der gerade ausgetauschte Wirecard-AG-Chef Markus Braun ist informierten Kreisen zufolge dabei, einen großen Teil seines Aktienpakets an dem tief in einen Bilanzskandal verstrickten Zahlungsdienstleister abzustoßen. Dabei geht es um Anteilsscheine, die er 2017 als Sicherheit für ein Darlehen über 150 Millionen Euro hinterlegt hatte.

Nachdem Wirecard eingeräumt hatte, ein Milliardenbetrag sei unauffindbar, hat die Aktie des Unternehmens vergangene Woche 72 Prozent an Wert verloren. Damit wurde informierten Kreisen zufolge der Verkauf der als Sicherheit hinterlegten Anteilsscheine notwendig.

Der 2002 zum CEO ernannte Braun hielt gemäß Bloomberg-Daten per 19. Juni 7 Prozent der Wirecard-Anteile und war damit größter Aktionär des Unternehmens. Wie zu hören war, half bei der Finanzierung seiner Beteiligung ein ursprünglich mit der Deutsche Bank AG geschlossener Margenkredit über 150 Millionen Euro, den die Bank inzwischen abgestoßen hat. Eine Pflichtmitteilung aus dem Dezember 2017 meldet die Hinterlegung von 4,2 Millionen Aktien als Pfand.

Braun lehnte eine Stellungnahme ebenso ab wie ein Sprecher der Deutschen Bank. Die Aktien des Zahlungsdienstleisters kam am Montag noch tiefer in den Abwärtsstrudel. Sie büßten im frühen Handel weitere knapp 38 Prozent auf 15,10 Euro ein, nachdem sie bereits am Donnerstag und Freitag um bis zu 82 Prozent eingebrochen waren. Damit schrumpft der Börsenwert auf knapp 1,9 Milliarden Euro, womit sich seit Mittwoch 11 Milliarden in Luft aufgelöst haben.  Ein Händler zeigte sich angesichts der seit Donnerstag um Wirecard herrschenden Panik der Anleger kaum überrascht, dass die Aktie nun weiter "wie ein Stein" falle. "In das fallende Messer will keiner 'reingreifen", sagte er. "Die Zukunft des Unternehmens ist aktuell mehr als unsicher." Hinzu dürfte eine Klagewelle kommen.

Die Ratingagentur Moody's hatte zudem am späten Freitagabend ihr Urteil für die Kreditwürdigkeit von Wirecard auf "Ramsch" gesenkt und mitgeteilt, dass weitere Abstufungen möglich seien.

1,9 Milliarden Euro fehlen

Die verschwundenen 1,9 Milliarden Euro auf vermeintlichen Treuhandkonten in Asien existierten mit "überwiegender Wahrscheinlichkeit" nicht, hatte der Dax-Konzern in der Nacht zum Montag mitgeteilt. Die vorläufigen Ergebnisse des vergangenen Geschäftsjahres sowie die Prognosen für 2020 und darüber hinaus seien daher nicht mehr zu halten. Das Unternehmen prüfe nun Kostensenkungen, einen Umbau sowie den Verkauf oder die Einstellung von Firmenteilen und Produkten.

Der Finanzkonzern, der für Händler und Kunden Zahlungen in Online-Shops und an Ladenkassen abwickelt musste vergangene Woche seinen Jahresabschluss 2019 zum vierten Mal verschieben, weil die Wirtschaftsprüfer von EY ein 1,9 Milliarden Euro schweres Loch in der Bilanz gefunden hatten. Die Wireceard-Aktien stürzten in die Tiefe, der langjährige Vorstandschef, der Österreicher Markus Braun, trat zurück und ein weiterer Vorstand wurde suspendiert. Das Problem für Wirecard ist nun, dass Banken eine Kreditlinie kündigen können und Wirecard das Geld zurückzahlen müsste.

Wirecard stehe in "konstruktiven Gesprächen" mit seinen Banken hinsichtlich der Fortführung der Kreditlinien und der weiteren Geschäftsbeziehung, teilte das Unternehmen mit Sitz in Aschheim bei München mit. Die Investmentbank Houlihan Lokey prüfe Möglichkeiten für eine nachhaltige Finanzierungsstrategie. Wirecard betonte darüber hinaus, die Systeme des Konzerns liefen ohne Einschränkung. Zu dem Konzern gehört auch die Wirecard Bank, die eine Vollbanklizenz hat und sämtliche Finanzdienstleistungen anbieten darf.

Die Hoffnung auf ein Stillhalten der Banken wurde von einem Zeitungsbericht gestützt: Wie die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" berichtete, wollen die Banken das Unternehmen nicht fallen lassen. "Keiner hat ein Interesse daran, den Kredit zu kündigen", hieß es demnach am Samstag aus einem der beteiligten Geldhäuser. "Alle wollen jetzt das Ding kurzfristig stabilisieren." Aus dem Umfeld von Wirecard hieß es dem Bericht zufolge, man hoffe auf eine Einigung bis Ende kommender Woche. Zudem will Wirecard Schritte prüfen, das Geschäft fortzuführen. Darunter seien Kostensenkungen sowie Umstrukturierungen, Veräußerung oder Einstellungen von Unternehmensteilen und Produktsegmenten. Die IT Systeme von Wirecard liefen ohne Einschränkungen, hieß es weiter. Doch Wirecard muss jetzt auch damit rechnen, dass die Kunden angesichts des Vertrauensverlustes das Weite suchen.

Bilanzen manipuliert?

Der Konzern war bis Donnerstag davon ausgegangen, dass die nun fehlenden 1,9 Milliarden Euro - ein Viertel der Bilanzsumme - auf Konten über einen Treuhänder bei Banken in Asien angelegt sind. Die Verlässlichkeit dieser Treuhandbeziehung werde nun infrage gestellt, erklärte die Gesellschaft. Der Vorstand gehe davon aus, dass die bisherigen Beschreibungen des sogenannten Drittpartnergeschäfts unzutreffend seien. Man untersuche, ob, in welcher Art und Weise und in welchem Umfang das Geschäft tatsächlich zugunsten von Wirecard geführt worden sei.

Verschiedene Medien, vor allem die "Financial Times", hatten Wirecard in den vergangenen Monaten mehrfach die Manipulation von Bilanzen vorgeworfen. Ex-Firmenchef Braun hatte dies stets bestritten. Eine durch den Aufsichtsrat in Auftrag gegebene Sonderprüfung durch KPMG sollte die Vorwürfe entkräften, die Prüfer fanden aber schwerwiegende Mängel bei internen Kontrollen sowie Hinweise darauf, dass es Unregelmäßigkeiten im Geschäft mit den Drittpartnern geben könne. Die Prüfer von EY, die nun den Jahresabschluss 2019 testieren sollten, hatten vergangenen Donnerstag erklärt, Dokumente zu Geldern auf Treuhandkonten bei Banken in Asien seien offenbar gefälscht worden.

Die philippinische Bank BPI suspendierte in diesem Zusammenhang nach eigenen Angaben einen Mitarbeiter. Bei der Konkurrentin BDO hieß es, es sehe alles danach aus, dass einer ihrer Marketingmitarbeiter ein Bankzertifikat gefälscht habe. Die philippinische Zentralbank hatte am Sonntag erklärt, die Wirecard-Milliarden seien nicht in ihrem Finanzsystem gelandet. Die Namen der zwei größten Finanzhäuser des Landes würden benutzt, um "die Spur der Täter zu verwischen". Sie werde aber Nachforschungen anstellen.

(APA/Reuters/dpa/bloomberg)

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