Gedenkstätte für Opfer

Shoah-Namensmauer: Späte Gedenkstätte für 64.000 österreichische NS-Opfer

Im Wiener Ostarrichipark wird nach jahrzehntelangen Bestrebungen eine Shoah-Namensmauer errichtet.
Im Wiener Ostarrichipark wird nach jahrzehntelangen Bestrebungen eine Shoah-Namensmauer errichtet.(c) APA/GEORG HOCHMUTH
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Mit der nun erfolgten Grundsteinlegung für die Shoah-Namensmauer endet für die Republik ein 75 Jahre währender Nachholbedarf bei ihrer Erinnerungspolitik.

Seit 20 Jahren gibt es die Idee, seit gestern nun auch die Aussicht auf Fertigstellung: Im Wiener Ostarrichipark wird in Zukunft eine Shoah-Namensmauer-Gedenkstätte an das Schicksal der rund 64.000 österreichischen Juden erinnern, die dem NS-Terror zum Opfer gefallen sind. Zum Festakt am Montag, der nun den offiziellen Startschuss gab, luden Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler (beide ÖVP), Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ), die Generalsekretärin des Nationalfonds Hannah Lessing sowie der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) Oskar Deutsch in den Festsaal der Österreichischen Nationalbank.

ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz musste der Veranstaltung hingegen fernbleiben, da er sich „nicht wohl“ fühle, wie Edtstadler auf Nachfrage informierte. Der Baustart der Gedenkstätte war eigentlich für das Frühjahr geplant, hatte sich aufgrund der Corona-Pandemie jedoch verzögert. Fertiggestellt soll die Stätte nun bis spätestens Herbst 2021 werden.

Projekt mit Verzug

Neu sind Verzögerungen und Aufschübe für die geplante Namensmauer nicht. So hat es bis zur Realisierung knapp 20 Jahre gedauert: Kurt Yakov Tutter, der 1930 mit seiner Familie nach Belgien floh und dort versteckt wurde, gründete im Jahr 2000 einen Verein zur Errichtung einer Shoah-Namensmauer, der in den folgenden Jahren immer mehr Unterstützer fand. 2006 konstituierte sich die Gruppe zum „Verein zur Errichtung einer Namensmauern-Gedenkstätte für die in der Shoah ermordeten jüdischen Kinder, Frauen und Männer aus Österreich“. Doch sollte es noch bis 2018 dauern, bis die damalige türkis-blaue Bundesregierung unter Bundeskanzler Kurz die Finanzierung zusicherte.

Der Standort der neuen Gedenkstätte in der Wiener Innenstadt.
Der Standort der neuen Gedenkstätte in der Wiener Innenstadt.(c) Petra Winkler

Der Nationalfonds für die Opfer des Nationalsozialismus, dem Nationalratspräsident Sobotka vorsteht, ist für die finanzielle Abwicklung verantwortlich. Die Kosten von rund 5,3 Millionen Euro werden aus mehreren Quellen gestemmt: Die Industriellenvereinigung (IV) lukrierte im Rahmen eines Fundraisings Spenden von 230.000 Euro, weitere 600.000 Euro kommen von den Bundesländern, den Großteil von 4,6 Millionen Euro übernimmt der Bund.

„Das sind wir Opfern schuldig“

Mit der Realisierung des Projekts reagiert das offizielle Österreich nun auf einen 75 Jahre währenden erinnerungspolitischen Nachholbedarf. So gibt es seit 2000 zwar das „Mahnmal für die österreichischen jüdischen Opfer der Schoah“ auf dem Wiener Judenplatz, im Vergleich zu anderen Städten aber gab es bisher keine offizielle Erinnerungsstäte mit den Namen der Opfer. In der Prager Pinkassynagoge etwa wurden bereits 1954 die 80.000 Namen der aus Böhmen und Mähren stammenden Juden eingraviert; in Berlin wurde das „Denkmal für die Juden Europas“ unweit des Brandenburger Tors 2005 eröffnet. Hierzulande aber kam erst im Kontext des Gedenkjahres 2018 neue Bewegung in die Debatte um eine Gedenkstätte. Nun wird sie Realität.

Beim Festakt am Montag war Initiator Tutter nicht persönlich aber per Videobotschaft anwesend. Sobotka sprach ihm ein „beschämendes Danke“ aus. Denn: „Wer sich der Geschichte nicht stellt, den stellt die Geschichte.“ Die Mauer gebe den 64.259 jüdischen Kindern, Frauen und Männern „ihre Identität zurück“ und sei ein „klarer Auftrag für alle“, Antisemitismus zu bekämpfen, der „in rechten und linken Rändern“ und „im muslimischen Kulturkreis zu finden“ sei. „Ihre in Stein gemeißelten Namen sorgen dafür, dass sie niemals vergessen werden“, sagte der Nationalratspräsident.

Kanzleramtsministerin Edtstadler sprach vom „dunkelsten Kapitel unserer Geschichte“. „Das Gedenken muss der Zukunft dienen“, erklärte IGK-Präsident Deutsch, der Tutter Anerkennung zollte, aber auch Kanzler Kurz dankte, dem die Realisierung „ein so großes Anliegen“ sei. Denn jeder trage die Verantwortung, „täglich alles dafür zu tun, dass so etwas nie wieder passiert. Das sind wir den Opfern der Shoah, deren einzelne Namen hier eingraviert werden, schuldig.“

„Wiedererblühendes“ jüdisches Leben in Wien

Nur dann, „wenn jüdisches Leben wieder blühe, werde es gelingen, die Wurzeln des Antisemitismus halbwegs zu bekämpfen“, betonte Sobotka. Ein Anfang dazu scheint bereits geschafft: So stieg die Zahl der in Wien lebenden Juden seit Kriegsende 1945, wo es nur noch 2000 gewesen waren, auf mittlerweile 8000 an. Im Vergleich zu Vorkriegszeiten, in denen rund 200.000 Juden in Wien lebten, sei die Gemeinde aber nach wie vor nur ein „Bruchteil dessen, was sie vorher war“, sagt IKG-Generalsekretär Benjamin Nägele im Gespräch mit der „Presse“.

Im Hinblick auf das jüdische Leben in Wien berichtet dieser dennoch von positiven Entwicklungen. So gebe es heute in Wien den größten koscheren Supermarkt Europas, fünf jüdische Schulen und Kindergärten sowie Dutzende Synagogen. Im Verhältnis zur geringen Mitgliederzahl sei die Infrastruktur der Gemeinde im Vergleich zu anderen europäischen Städten mit viel größeren Communities „echt beeindruckend“, wie Nägele betont.

Auch könne man als Jude in Österreich „vergleichsweise sicher“ leben, was sich beispielsweise in der Wiener Leopoldstadt zeige, wo orthodoxe Juden, die als solche offen erkennbar sind, „selbstverständlich zum Stadtbild gehören“. Dennoch beobachte man - wie in anderen EU-Staaten - auch in Österreich „mit großer Sorge“ den Zuwachs an antisemitischen Übergriffen, den der aktuelle Antisemitismus-Bericht erst Ende Mai aufzeigte: Im Jahr 2019 gab es insgesamt 550 antisemitische Vorfälle und damit um 9,5 Prozent mehr als im Jahr 2017. Betrachtet man die vergangenen fünf Jahre, hat sich die Zahl der Angriffe sogar verdoppelt.

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