Nach Locke verfügt der Mensch über Sinneseindrücke, aber diese kennen keinen absoluten Maßstab. Im Grunde messen wir nur Unterschiede.
Mitten in der Ausstellung musste ich an die Sache mit den drei Schalen denken. John Locke hatte sie in seinem „Essay über den menschlichen Verstand“ als Beispiel genannt. Er lud seine Leser ein, drei Schalen aufzustellen: rechts eine mit heißem, links eine mit eiskaltem und in der Mitte eine mit lauwarmem Wasser. Man tauche einige Minuten lang die eine Hand in das heiße, die andere in das kalte Wasser. Dann gebe man beide Hände in das laue Wasser. Der einen Hand wird das lauwarme Wasser warm vorkommen, der anderen kühl. Nach Locke verfügt der Mensch über Sinneseindrücke, aber diese kennen keinen absoluten Maßstab. Im Grunde messen wir immer nur Unterschiede, und selbst diese können mit den eigenen Händen verschieden empfunden werden.
Letzte Woche ging ich mit meiner Frau in die Albertina Modern. Bei der Kasse war eine junge Dame ausnehmend freundlich. Als wir bei der Garderobe bezahlen wollten, sagte uns ein Mitarbeiter, dass es doch auch ein kostenloses Schließfach gebe. Das Wiener Künstlerhaus erstrahlte in renovierter Pracht. Die Werkauswahl von Eduard Angeli über Avramidis, Bertoni, Gironcoli, Hrdlicka, Kolig und Lassnig bis Zadrazil war eindrucksvoll, die erklärenden Texte klug. Selten habe ich eine Ausstellung so glücklich verlassen.