Morgenglosse

Eine Schule, in die (fast) niemand gehen darf

Nicht einmal zwei Prozent aller Schüler werden die Sommerschule besuchen. Will diese künftig zum gefeierten „Tabubruch“ werden, wie sie von der Regierung derzeit verkauft wird, muss sie sich aber an alle Schüler richten - nicht nur an jene mit Migrationshintergrund.

Was die Bundesregierung derzeit als „Tabubruch“ und bildungspolitischen Meilenstein verkauft, ist vor allem eine exklusive Veranstaltung für eine deklarierte Minderheit. Und das mit voller Absicht. Die Rede ist von den Sommerschulen, für die ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann von Vornherein jenes winzige Grüppchen aus 43.000 Kindern mit Deutschförderbedarf als Zielgruppe definierte - und sie damit sogleich zur geschlossenen Gesellschaft machte. Die nun vorliegenden Teilnahmerzahlen unterstreichen diesen Eindruck [premium]: Nur ein Drittel (rund 22.000 bzw. zwei Prozent aller 1,1 Millionen Schüler, Stand Mittwoch) werden daran voraussichtlich teilnehmen.

Man könnte die geringe Auslastung nun als Segen interpretieren, weil die wenigen Kinder in Kleingruppen individueller gefördert werden können. Der Ferienunterricht könnte sich aber auch zur Schule der Segregation und damit zum Fluch entwickeln. Denn Förderbedarf haben viele Kinder, nicht nur jene mit Migrationshintergrund. Und das vor allem auch in Fremdsprachen und Mathematik, wie nicht zuletzt die schlechten Ergebnisse der heurigen Mathematik-Matura [premium] gezeigt haben.

Die Elternkurse, die seit dieser Woche stattfinden, begleiten das neue Unterrichtskonzept, das sich exklusiv an Kinder und Eltern mit Migrationshintergrund richtet. Die Aussagen von ÖVP-Integrationsministerin Susanne Raab zum hohen Anteil mehrsprachiger Kinder in Wien [premium], der sie vor „Parallelgesellschaften“ warnen ließ, vertiefen den deutlichen Integrationsschwerpunkt der Sommerschulen. Der Zugang von beiden ÖVP-Ministern, deren Zuständigkeiten derzeit immer öfter zu verschwimmen scheinen, überrascht nicht: Er entspricht der oft gelebten türkisen Strategie, Bildungspolitik mit Sprach-, Integrations- und Migrationspolitik zu verknüpfen.

Der Populismusvorwurf aber greift dabei zu kurz. Denn auch die grüne Bildungssprecherin Sibylle Hamann lobt die neue Sommerschule als niederschwellige Förderung von Kindern aus benachteiligten Familien. Angesichts der pandemiebedingten Unterrichtspause, die vor allem bei Kindern, die zu Hause kaum oder nicht Deutsch sprechen, einen enormen Nachholbedarf bewirkt hat, ist es auch legitim und richtig, den ersten Jahrgang der Sommerschule der Deutschförderung zu widmen.

Doch muss in einem Bildungssystem, das „alle Kinder mitnehmen will“, wie Ministerin Raab zuletzt nicht müde wurde zu betonen, jeglicher Förderbedarf gestillt werden - und eben nicht nur jener in Deutsch. Dann aber müssen alle Kinder zur Bildungsreise eingeladen werden, die im Sommer aufholen wollen, um im Herbst nicht abgehängt zu werden. Soll sich die Ferienschule also tatsächlich zum von Faßmann behaupteten „Tabubruch“ mit der traditionellen neunwöchigen Urlaubsamnesie entwickeln, darf diese kein einseitiges Pilotprojekt bleiben, sondern sich spätestens im nächsten Jahr vom exklusiven Sommerclub in eine Massenveranstaltung entwickeln.

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